Dr. Dr. Joachim Kahl, Freiberuflicher Philosoph, Marburg/Lahn
Angelehnt vornehmlich an das Lutherbild Heinrich Heines skizziert Joachim Kahl ein kritisch-positives Verständnis Luthers und seines Lebenswerkes. Was als tief innerlicher Gewissenskonflikt eines Mönches begann – eines ernsthaft Suchenden, der nach dem gnädigen Gott fragte – führte zu einem welthistorischen Umbruch, dessen Ergebnisse und Folgen bis auf den heutigen Tag präsent sind.
Martin Luther, in vielem im Mittelalter verwurzelt, stand mutig auf gegen Kaiser und Papst und brachte der katholischen Kirche eine Niederlage bei, von der sie sich nie erholt hat. In religiöser Gestalt und in religiöser Form unterminierte er die materielle und spirituelle Stellung der größten Feudalmacht in Europa. Dabei formulierte er bleibende Prinzipien von individueller Freiheit und Gleichheit (allgemeines Priestertum der Getauften und Gläubigen). Sie weisen über sich hinaus und tragen den Keim der Selbstsäkularisation in sich.
Ludwig Feuerbach konnte seinen Atheismus aus Luthers Deutung des ersten Gebotes herleiten. In Wittenberg, dem Hauptwirkungsort Luthers, sind heute nur noch weniger als zehn Prozent der Bewohner Mitglieder der evangelischen Kirche.