Wolfgang Polkowski und Götz Eisenberg stellen das Buch von Didier Eribon Rückkehr nach Reims vor und formulieren einige Thesen zum drohenden Siegeszug des Rechtspopulismus und zur Sprachlosigkeit der Linken.
Didier Eribon
Bild: Normand/Opale/Leemage/laif
»… das war zu einer Zeit, als die Menschen noch Dinge machten und Maschinen benutzten,
statt umgekehrt …« (Richard Ford)
Das, was man Globalisierung nennt, realisiert sich für viele Menschen als Zugleich von Arbeitsplatz-, Erfahrungs- und Identitätsverlust. Menschen in Ohio oder im Ruhrgebiet verlieren ihre Arbeitsplätze, weil chinesische Fabriksklaven billiger zu haben sind. Zurück bleiben Nerds und Hipster, die Webseiten und Hologramme herstellen und über ihre Tablets wischen. Ehemals proletarische Stadtteile verwandeln sich in gentrifizierte Rucola- und Smoothie-Bezirke, deren Bewohner sich für eine »bunte Republik«, die Einrichtung von Transgender-Toiletten und freies WLAN einsetzen. Die »Weltoffenheit«, die sie propagieren, ist die mentale Seite der Globalisierung und etwas vollkommen anderes als das, was die Linke »internationale Solidarität« genannt hat.
Die Völkerwanderung der Armen und die terroristischen Anschläge der jüngsten Zeit haben bei den Verlierern der Globalisierung zusätzlich ein Gefühl existenzieller Unsicherheit entstehen lassen. Unter dem Druck von Angst und aufflackernder Panik regredieren Menschen auf primitivere Mechanismen der psychischen Regulation und sehnen sich nach einfachen Lösungen. Es schlägt die Stunde der Fanatiker und Scharlatane. Der Siegeszug der AfD bei den Landtagswahlen im März und im September 2016, der Brexit sowie der Wahlsieg Donald Trumps haben uns einen Vorgeschmack dessen beschert, was im Jahr 2017 auf uns zukommen kann. In den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland werden im Laufe des Jahres die Parlamente neu gewählt.
Didier Eribon weist in seinem viel diskutierten Buch Rückkehr nach Reims der Linken eine Mitschuld am Aufstieg der Rechten zu. Die Linke hat die Probleme, Ängste und Nöte der »kleinen Leute« aus dem Blick verloren und ist mit dem neoliberalen Mainstream verschmolzen. Sie verfügt über keine Antworten auf die Fragen vieler Menschen, die unter dem leiden, was auch von der Linken als »Fortschritt« begriffen und begrüßt wird. Sie hat die Angst, enteignet und herumgestoßen zu werden, nicht zur Kenntnis genommen. Die sozialdemokratische und kommunistische Linke verfügte von Anfang an und verfügt bis heute über kein Sensorium für die Verwüstungen und Schrecken, die mit der kapitalistischen Industrialisierung einhergehen und überlässt dieses Feld kampflos den Rechten. So sind rechtsradikale Bewegungen in vielen europäischen Ländern dabei, den Angstrohstoff, der durch die Radikalisierung des sozialdarwinistischen Überlebenskampfes entstanden ist, für antidemokratische und menschenverachtende Zwecke zu verarbeiten und nach rückwärts in Gang zu setzen. Es handelt sich im Sinne Ernst Blochs um die Aneignung linker Energien von rechts.
Was müssen, was können wir tun, damit die Linke ihre traditionelle Hegemonie in diesem Feld zurückgewinnt und wieder zu den Faktoren gehört, die Hoffnung machen?
Erinnern wir uns angesichts der aktuellen Faschisierungsprozesse an die mahnenden Worte, die Erich Kästner am 10. Mai 1958 anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung der Nazis gesprochen hat: »Die Ereignisse von 1933 bis 1945 hätten spätestens 1928 bekämpft werden müssen. Später war es zu spät. (...) Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf (...) . Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben.«
Wolfgang Polkowski und Götz Eisenberg stellen das Buch von Didier Eribon Rückkehr nach Reims vor und formulieren einige Thesen zum drohenden Siegeszug des Rechtspopulismus und zur Sprachlosigkeit der Linken.
Didier Eribon
Rückkehr nach Reims
237 Seiten
Berlin 2016, Suhrkamp Verlag
ISBN: 9783518072523