Zur Debatte um Martin Walser

Armin Trus möchte die eingetretene Polarisierung hinterfragen und Raum für Zwischentöne schaffen.

Samstag, 28. November 2015 - 14:00

Wie kaum ein anderer Autor nach 1945 hat Martin Walser immer wieder für öffentliche Aufregung gesorgt. So etwa in den 70er Jahren, als er die nationale Frage für sich entdeckte und gleichzeitig für einen Dialog mit den Gefangenen der RAF eintrat. Oder 1998, als seine Rede zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels die sogenannte Walser-Bubis-Debatte auslöste. Walser bezeichnete das geplante Holocaust-Mahnmal als »fußballfeldgroßen Alptraum«, prangerte die »Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken« an und benutzte im Zusammenhang mit Auschwitz Begriffe wie »Moralkeule«, »Einschüchterungsmittel« und »Drohroutine«.

Sein 2002 erschienener, angeblich antisemitisch grundierter Roman Tod eines Kritikers bestätigte schließlich viele in ihrer Überzeugung, dass Martin Walser endgültig in der rechten bzw. rechtsextremen Ecke angekommen sei.

»Nichts, was mir wichtig ist, ist links oder rechts.« (Meßmers Reisen)

Dass sich aber Martin Walser länger als die meisten anderen zeitgenössischen Schriftsteller mit dem Themenkomplex Auschwitz befasst hat, ging in der hitzig geführten Debatte völlig unter. Triebkraft für seine langjährige Beschäftigung mit Auschwitz war dabei das Unbehagen an der Sprache, der öffentlichen Gedenkkultur sowie der justitiellen Aufarbeitung.

»Oft verabrede ich mich mit mir und gehe nicht hin. Hoffentlich sterbe ich weg, bevor ich mir sage, was ich von mir denke« (Meßmers Gedanken)

Im ersten Teil der Veranstaltung wird Armin Trus sich dem »älteren« Walser nähern, um von dort aus einen Blick auf den Walser der Friedenspreisrede zu werfen. Ziel ist es, die eingetretene Polarisierung in der Einschätzung Walsers zu hinterfragen und Raum für Zwischentöne zu schaffen.

Im zweiten Teil soll der literarische Walser zu Wort kommen. Leider habe die Zuordnung des Attributs »rechtsextremer Intellektueller« (konkret) besonders in linken Kreisen dafür gesorgt, dass Walser als Schriftsteller kaum mehr die Beachtung finde, die ihm zukomme. Zu entdecken sei ein scharfer Kritiker des herrschenden Kulturbetriebs, ein großartiger Stilist und Sprachschöpfer sowie ein »poeta doctus«. Vor allem aber sei Walser ein genauer Beobachter des Innenlebens seiner – trotz oder gerade wegen ihrer Fehler – liebenswerten Alltagshelden aus dem kleinbürgerlichen Milieu.

»Die Lust, Nein zu sagen. Das Leid, so selten Gelegenheit zu haben, Nein zu sagen. Und wie er es, wenn einmal eine Gelegenheit kam, übertrieb.« (Meßmers Reisen)

Literatur:

  • Martin Walser: Unser Auschwitz, 2015, Rowohlt Taschenbuch
  • Martin Walser: Meßmers Gedanken, 1985, suhrkamp
  • Eine ausgewogene Behandlung des Walser-Auschwitz-Themas findet sich in: Aleida Assmann, Ute Frevert, Geschichtsvergessenheit – Geschichtsversessenheit, 1999, Deutsche Verlags-Anstalt.

Weiterführende Literatur:

I. Walser und »Auschwitz«

  • Der Tagebucheintrag, in dem sich Martin Walser mit der Unzulänglichkeit von Sprache in Bezug auf »Auschwitz« beschäftigt, steht in: Leben und Schreiben. Tagebücher 1963–1973, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch 2009
  • Mit Ausnahme der Tagebucheinträge zum Auschwitz-Prozess wird Martin Walsers langjährige Auseinandersetzung mit »Auschwitz« in dem von Andreas Meier herausgegebenen Band dokumentiert: Unser Auschwitz. Auseinandersetzung mit der deutschen Schuld, Reinbek: Rowohlt Taschenbuch 2015
  • Außerdem findet sich der 1965 im »Kursbuch« erschienene Artikel »Unser Auschwitz« sowie die 1979 anlässlich der Eröffnung der Ausstellung »Überleben und Widerstehen« (Zeichnungen von Häftlingen des Konzentrationslagers Auschwitz 1940–46) gehaltene Rede »Auschwitz und kein Ende« in dem Sammelband: Ansichten, Einsichten. Aufsätze zur Zeitgeschichte, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1997.
  • Die umstrittene Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1998 »Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede« eröffnet die umfangreiche Dokumentation: Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, hrsg. v. Frank Schirrmacher, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1999
  • Eine nachdenkliche, Martin Walser verteidigende Haltung aus jüdischer Sicht nimmt ein: Georg Heller: Endlich Schluss damit? »Deutsche« und »Juden« – Erfahrungen, Eggingen: Edition Isele 2002 (mit einem Vorwort Martin Walsers zu den Folgen der Debatte)
  • Martin Walser hat sich später noch mehrfach zur Debatte geäußert. Einiges davon ist zu finden in: Kinderspielplatz. Zwei öffentliche Reden über Kritik, Zustimmung, Zeitgeist, Berlin: Berlin University Press 2008
  • Über Rechtfertigung, eine Versuchung, Reinbek: Rowohlt 2012 »Einsam ist man sowieso« – SPIEGEL-Gespräch, DER SPIEGEL 19/2015 (2. Mai 2015)

II. Der »literarische« Walser

    Folgende Titel enthalten eine Sammlung von Aphorismen:
    • Meßmers Gedanken, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1985
    • Meßmers Reisen, Frankfurt/M.: Suhrkamp 2003
    • Meßmers Momente, Reinbek: Rowohlt 2013
  • Die Erzählung »Ich suchte eine Frau« ist enthalten in: Ein Flugzeug über dem Haus und andere Geschichten, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1955
  • Gesammelte Geschichten, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1983
  • Eine schöne Zusammenstellung typischer Auszüge aus seinen Werken (von »Ehen in Philippsburg« 1957 bis zum »Vormittag eines Schriftstellers« 1994) wurde besorgt von Hans Christian Kosler: »Mit der Schwere spielen« – Lesebuch, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1995
  • Die Tonaufnahme mit dem Porträt Martin Walsers ist Teil der umfangreichen MP3-CD (etwa 15 Stunden): »Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr« – Martin Walser über sich und sein Werk, Vorträge und Gespräche, SWR2 2012