Weltende
Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
In allen Lüften hallt es wie Geschrei.
Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei
Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut.
Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen
An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken.
Die meisten Menschen haben einen Schnupfen.
Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.
(Jakob von Hoddis)
Dieses eher expressionistische Gedicht aus dem Jahr 1911 gibt bereits etwas von der Stimmung wieder, die sich während des ersten Weltkrieges bei Künstlern und Literaten entwickelte.
Was am 5. Februar 1916 in Zürich als literarisches Kabarett begann und schließlich einen dadaistischen Impuls kreierte, hatte seine Vorgeschichte – im Varieté, im Tingeltangel, im Kabarett. Vorbilder waren das aus der Pariser Bohème, aus einem Künstler-Klub schon Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Chat noir, das von Ernst von Wolzogen nach der Jahrhundertwende in Berlin gegründete Überbrettl oder auch die Münchner Elf Scharfrichter, zu denen auch Frank Wedekind zählte.
»Wir werden politische Ereignisse persiflieren, die Menschheit belehren, ihr ihre Dummheit vorhalten, dem Mucker die schlechte Laune abgewöhnen, dem Philister die Sonnenseite des Lebens zeigen, dem Hypochonder die heuchlerische Maske abnehmen …« heißt es in einem der Gründungsmanifeste des Chat noir.
In Deutschland hatte der Schriftsteller Otto Josef Bierbaum bereits 1897 in seinem »Roman aus der Froschperspektive« Stilpe eine Art »Literatur-Varieté« propagiert:
»Wir werden diese alberne Welt umschmeißen! Das Unanständige werden wir zum einzig Anständigen krönen! Das Nackte werden wir in seiner ganzen Schönheit neu aufrichten vor allem Volke! Lustig und lüstig werden wir diese infame, moralklapprige Welt wieder machen, lustig und himmlisch frech«.
Er erhoffte sich, so der Literaturwissenschaftler Karl Riha, »vom Tingeltangel her die ›Renaissance‹ der Kultur, »aller Künste und des Lebens« und – in Bezug auf Friedrich Nietzsche – die Geburt des »Übermenschen auf dem Brettl«.
Aber auch Autoren wie Christian Morgenstern mit seinen Galgenbrüdern gehören hier her und die damals durchaus vorhandene Tradition der Nonsense-Poesie. Und expressionistische Lyriker wie der oben zitierte Jakob von Hoddis, Else Lasker-Schüler oder Alfred Lichtenstein.
Einflüsse kamen auch von den italienischen Futuristen, deren wichtigster Protagonist Marinetti schon 1913 ein Manifest »Zur Verherrlichung des Varietés« geschrieben hatte, das bereits viele Elemente enthielt, die man im Nachhinein als dadaistisch bezeichnen könnte.
»Was wir Dada nennen, ist ein Narrenspiel aus dem Nichts« (Hugo Ball)
Eben dieser Hugo Ball und die »Schleswiger Chansonette« Emmy Hennings hatten sich in Berlin, wo sie beide im Kabarett-Milieu aktiv waren, kennen gelernt und lebten seit 1915 im Schweizer Exil, während rundum in Europa der erste Weltkrieg tobte. Sie schlugen sich eher mühsam mit Einzelauftritten und Rezitationen durch, bevor sie auf die Idee kamen, ihre Aktionen selbst zu inszenieren. Der immer wieder als Gründungsdatum Dada’s genannte 5. Februar sah eine aufgrund einer Zeitungsanzeige Balls zustande gekommene Veranstaltung, die mit diesem Begriff noch gar nichts verband: Es stellten sich in einem literarisch-künstlerischen Kabarett neben Ball und Hennings u.a. der Maler Marcel Janco und der Dichter Tristan Tzara vor. »Arp war zufällig auch da«, wie Hugo Ball später notierte. Sehr bald stieß auch Richard Huelsenbeck dazu, der seine Pseudo-Negergedichte auf einer Trommel begleitete, mit deren Rhythmus er »am liebsten die Literatur in Grund und Boden trommeln« wollte. Es bot sich aber auch ein zwanzigköpfiges russisches Balaleika-Orchester für regelmäßige Auftritte an; berichtet wird außerdem vom Überfall einer ganzen ›Gesellschaft holländischer Jungs‹, die Banjos und Mandolinen mitführten und sich wie komplette Narren aufgeführt haben sollen. Einer von ihnen, der sich »Öl im Knie« nannte, »machte den Obermimen, indem er drapiert aufs Podium stieg und unter allerlei Verrenkungen, Beugen und Schlottern der Knie Exzentricsteps vorführte«, so Karl Riha.
Die dadaistischen Elemente entwickelten sich aber rasch, z.B. in den Simultangedichten, die gemeinsam von Huelsenbeck, Tzara und Janco verfasst und laut vorgetragen wurden. Oder auch mit den Lautgedichten Hugo Balls. Ein Höhepunkt war der Auftritt Balls am 23. Juni 1916 in einer »kubistischen Maske«. Er hatte sich einen Obelisken aus Pappe mit riesigem Mantelkragen konstruiert, auf dem Kopf trug er einen zylinderartigen Schamanenhut.
Seine Gedichte bezeichnete er als eine »neue Gattung von Versen«, als eine »Art Klanggedichte«, die auf »die durch den Journalismus verdorbene und unmöglich gewordene Sprache« verzichte und so der Dichtung »ihren letzten heiligen Bezirk« bewahre. Raoul Hausmann, der ja selbst Autor etlicher Lautgedichte ist, hat später auf die wichtige Rolle der russischen Zaoum-Dichtung hingewiesen, die es bereits vor Dada gab. Kandinsky soll Ball damit vertraut gemacht haben.
Der Begriff DADA war da schon in der Welt. Über seine Entstehung gibt es die unterschiedlichsten, sich widersprechenden Darstellungen:
George Grosz berichtet in seiner Autobiografie, dass Hugo Ball im Kreise einiger Künstler mit einem Federmesser in ein deutsch-französisches Wörterbuch gestochen hat und das Wort ›dada‹ (in der französischen Kindersprache bedeutet es »Steckenpferd«) traf.
Marcel Janco dagegen hält die Geschichte mit dem Messer für im Nachhinein erfunden. Die Wahrheit sei viel trivialer: DADA sei der Name eines damals in Zürich erhältlichen, bekannten Haarwaschmittels gewesen.
Andere bezogen sich auf ein unter Pseudonym erschienenes erotisches Buch des französischen Anarchisten Alphonse Gallais, dessen Titel übersetzt ungefähr so laut: Das Paradies des Fleisches oder Das göttliche Liebesbrevier. Die Kunst, die Wollust in 136 Verzückungen zu genießen. Dort werden in einem Kapitel eine Reihe von Positionen beschrieben, die alle »á dada« genannt werden.
DADA verstand sich nicht als neue Kunstrichtung wie z.B. der Expressionismus, Dada ging es vielmehr um den Bruch mit allen überkommenen Werten, um Antikunst. Die Erschütterungen des ersten Weltkriegs, die Auseinandersetzungen, die Aufläufe, die Massen in Berlins Straßen bewegten auch DADA. Raoul Hausmann schreibt:
»Wer stehen bleibt, wird erschossen, Aufruf des Polizei-Präfekten. Weder Gas, noch Elektrizität, noch Wasser, und dies seit mehreren Tagen. An jeder Straßenecke Kontrolle wegen Waffentragen, Massen-Manifestationen, Meetings für Spartakus, Nachts der Lärm der Maschinengewehre im Zentrum (…) Und dabei sollte man geschliffene Verse machen, Stil-Leben oder nackte Frauen malen? Zum Teufel!«
Intellektuell bezog man sich u.a. auf Einsteins 1916 veröffentlichte Grundlagen der allgemeinen Relativitätstheorie. »Die Vorherrschaft eines magisch-pragmatischen physikalischen Materialismus war damit erschüttert, analog der Vorherrschaft der Alten, des Schönen und des Römischen Rechts«, so der ›Dadasoph‹ Hausmann. Er nennt als wichtige Lektüre neben Salomo Friedlaenders Buch Schöpferische Indifferenz Freuds Totem und Tabu, Körperbau und Charakter von Ernst Kretschmer sowie Über den nervösen Charakter von Alfred Adler. DADA adaptierte aber keineswegs die Psychoanalyse sondern eher die konträren Leitgedanken des Psychologen Otto Groß. Auch gegenüber Max Stirners seinerzeit noch viel gelesener Schrift Der Einzige und sein Eigentum bezog DADA eine kritische Position. Soweit ein paar geistesgeschichtliche Bezüge.
DADAs Protest und Anti-Kunst dokumentierte sich in öffentlichen Aktionen, Manifesten, aber auch in neuen ästhetischen Formen – in der Poesie z.B. in Simultan- und Lautgedichten. Die Einbeziehung des Zufalls spielte eine wichtige Rolle, die Verwendung von Alltagsmaterialien in Bildern und Assemblagen, die Herausarbeitung neuer bildkünstlerischer Verfahren wie der Collage und der Foto-Montage. Wichtig waren auch Kollektivarbeiten, die sich gegen den Genie-Kult und das etablierte Bild vom Künstler richteten. Die Mobilisierung des Unbewussten, die später im Surrealismus eine zentrale Bedeutung gewinnen sollte, ist bereits in manchen Dada-Produktionen nachzuweisen.
Aber schauen wir uns in diesem literarisch-künstlerischen Kosmos etwas genauer um:
»… das Simultangedicht – ein gleichzeitig von mehreren Autoren aus divergenten Texten derart rezitiertes Poem, dass es zu überraschenden Sinn- und Unsinnsinterferenzen kommt – hat seinen Ursprung hier; es führt in gewisser Hinsicht zur Auflösung des (…) gerade für die Lyrik so konstitutiven Autor-Ichs.« So Karl Riha in seinem sehr empfehlenswerten, gerade bei Wagenbach wieder aufgelegten Bändchen 113 dada Gedichte.
Es entwickelten sich unter den Dadaisten diverseste Formen der Zusammenarbeit. Das gemeinsame Schreiben wurde als innovative poetische Qualität entdeckt. »Huelsenbeck, Marcel Janco und Tristan Tzara oder Arp, Tzara und Walter Serner im Zürcher Dadaismus, Hausmann und der ›Oberdada‹ Johannes Baader in Berlin, Arp und Max Ernst in Köln oder André Breton und Philippe Soupault während ihrer Dada-Phase in Paris arbeiteten auf diese Weise miteinander«. (Riha)
Der Zufall wird als schöpferisches Prinzip entdeckt. Der Maler Hans Richter beschreibt das eindrucksvoll am Beispiel von Hans Arp : »Arp hatte lange in seinem Atelier am Zeltweg an einer Zeichnung gearbeitet. Unbefriedigt zerriss er schließlich das Blatt und ließ die Fetzen auf den Boden flattern. Als sein Blick nach einiger Zeit zufällig wieder (…) auf diese Fetzen fiel, überraschte ihn ihre Anordnung. Sie besaß einen Ausdruck, den er die ganze Zeit vorher vergebens gesucht hatte.« Ähnlich ging er dann auch bei seinen literarischen Arbeiten vor.
Auch Versuche zur Mobilisierung des Unbewussten, zur »écriture automatique«, wie es später bei den Surrealisten heißt, finden sich, wie schon erwähnt, bereits bei etlichen Dada-Produktionen, Surreal wirken auch bereits Arps Dada-Gedichte, wie die drei folgenden Strophen aus dem Zyklus Opus null belegen:
Er zieht aus seinem schwarzen Sarg
um Sarg um Sarg um Sarg hervor.
Er weint mit seinem Vorderteil
Und wickelt sich in Trauerflor.
Halb Zauberer halb Dirigent
taktiert er ohne Alpenstock
sein grünes Ziffernblatt am Hut
und fällt von seinem Kutscherbock.
Dabei stößt er den Ghettofisch
von der möblierten Staffelei.
Sein langer Würfelstrumpf zerreißt
Zweimal entzwei dreimal entdrei.
Bei den literarischen Arbeiten spielen auch Unsinns-Poesie, schwarzer Humor und absurder Witz eine große Rolle. Das gilt selbst für scheinbar abstrakte Formen wie das Lautgedicht oder die Plakat- und Bildgedichte, wie sie z.B. Raoul Hausmann kreiert hat.
Die »Unsinnserhellung«, die Dekonstruktion von Sinn, hat auch Kurt Schwitters zum Ziel. So z.B. mit seiner dadaistischen Kunstfigur Anna Blume, die man »von hinten« wie »von vorn« lesen kann und deren Name »tropft wie weiches Rindertalg«. »Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,/ Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels./ Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, / Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!«
Schwitters kam aus schwer erklärbaren Gründen nicht so richtig beim Berliner Club DADA an. (Zu Dada Berlin gleich noch mehr). Raoul Hausmann, der ihm auch später noch verbunden blieb und künstlerisch sehr nahe stand, nennt in seinen Erinnerungen eine starke Abneigung Huelsenbecks gegenüber Schwitters als Ursache. Der entwickelte daraufhin ab 1919 seine eigene Kunstrichtung: MERZ. Diese Buchstaben soll er aus dem Wort Commerzbank herausgeschnitten haben. Zu seinen größten Schöpfungen gehören neben seinen großartigen Collagen die Ursonate, die er selbst eindrucksvoll vorzutragen wusste, sowie der MERZ-Bau in seinem Haus in Hannover, der immer weiter wuchs (er baute ihn aus Holz, Gips, Stoff und anderen Materialien) und für dessen Erweiterung er die Decke zum nächsten Stockwerk durchbrach. Es gab dort Nischen mit persönlichen Relikten, z.B. eine Haarlocke und ein Fläschchen Urin von Hans Arp, es gab darin auch eine kleine »Kathedrale des erotischen Elends«. Das Gebäude wurde im 2. Weltkrieg total zerstört; die heutige Rekonstruktion des Merz-Baus im Hannoveraner Sprengel-Museum wirkt leider ziemlich steril.
Bei den öffentlichen Vorträgen im Cabaret Voltaire und noch vehementer bei den Veranstaltungen des Berliner Club Dada sollte mit diesen Mitteln, aber auch der Heftigkeit der Auftritte (Huelsenbeck schlug in Zürich mit großer Kraft seine »Negertrommel« und brüllte seine Verse ins Publikum) das Publikum provoziert werden.
Raoul Hausmann berichtet in seinem Erinnerungsbuch Am Anfang war Dada: »Der Wettlauf zwischen Nähmaschine und Schreibmaschine, ausgeführt von George Grosz und Walter Mehring, war natürlich amüsant, ebenfalls ihr Zwiegespräch zweier Greise hinter dem Ofenschirm, aber die wichtigsten Manifestationen waren selbstverständlich diejenigen, bei denen Tausende von Personen, toll vor Wut gegen uns, bereit waren, uns zu töten – denn sie hatten verstanden, dass DADA ihre höchsten Güter und heiligsten Ideale bedrohte. Unsere alleinige Gegenwart schon beschwor diese Gefahr herauf. Auf der Matinee, die ich mit Baader in Hamburg gab, brauchte es 40 bewaffnete Soldaten, um den Saal zu räumen. Aber die Abende in Dresden, Leipzig und Prag waren ebenso gefährlich. Überall schäumten die Gemüter über, wir aber blieben ruhig.«
Und noch einmal Raoul Hausmann:
»Der Ober-DADA Baader vor allem machte Streiche, die manchmal, aus Zufall, gut in die Linie der Revolte passte. So begab er sich allein in die Nationalversammlung Weimar, wo er die Sitzung unterbrach und die Ablösung der Regierung durch die Gruppe DADA forderte, und wo er sein Blatt Die grüne Leiche abwarf, in dem er die Ankunft des Ober-DADA auf dem weißen Pferde ankündigte, als Höchster Schiedsrichter des Jüngsten Gerichts, und dass man das Parlament mit Bomben in die Luft sprengen werde.
Das gab einen unerhörten Skandal, den die gesamte deutsche Presse veröffentlichte und dessen offizielle Stenogramme bewahrt werden. Das Ereignis kann heute (Hausmann schrieb das 1970 kurz vor seinem Tod ) als eines der ersten ›Happenings‹ angesehen werden.«
Baader, der – so Hausmann – »unglücklicherweise zu oft von seinen religiös-paranoischen Ideen besessen war« – machte am 17. November 1918 mit einer weiteren Aktion auf sich aufmerksam. Hören wir dazu noch mal Hausmann: »Man muss an den Tod Gottes denken und ihn bekannt machen.‘Was ist Euch Jesus Christus? Er ist euch Wurst!‹ ruft der Ober-DADA Johannes Baader im Dom zu Berlin, den Prediger Dr. Dryander unterbrechend. Verhaftet, zum Posten geführt, wegen Gotteslästerung angeklagt. Sehr gut, das wird Lärm machen. Aktion, Aktion, vorbei die Zeit der Dichtung auf geschwärztem Papier, diese individuelle Eitelkeit.«
Und noch einmal der Oberdada. Der Dadaanarchist Franz Jung, über den ich auch seitenweise berichten könnte, der aber hier und heute leider zu kurz kommen muss, schreibt in seinem 1961 erschienenen Buch Der Weg nach unten: »Das Meisterstück lieferte Baader, als er von Hausmann und anderen Instruktoren umgeben auf der Straßenbahn nach Steglitz den Reichstagsabgeordneten Philipp Scheidemann erspähte. Scheidemann blieb auf der hinteren Plattform der Bahn durch Baader und seine Gefolgschaft eingeschlossen. Baader, der sich einen pastoralen Vollbart zugelegt hatte, hielt eine Ansprache, mit dröhnender Stimme, die straßenweit zu hören war, und ernannte Philipp Scheidemann zum Ehren-Dada. Scheidemann wusste nicht, wie sich verhalten – schließlich sprach das ›Volk‹ zu ihm, er war sehr verlegen, und es dauerte geraume Zeit, bis er entweichen konnte. Wenige Wochen darauf wurde Philipp Scheidemann zum Reichskanzler der Republik ausgerufen, der Anschluss Dadas an die Revolution war hergestellt.«
Die Entwicklung in Berlin
Es ist ganz typisch für den Club Dada, dass sich seine Mitglieder niemals auf einem gestellten Foto als Gruppe präsentiert haben. Es gibt eine Fülle von Einzel- und auch Doppelporträts und auch FotoMontagen. Wer nun wirklich zum engeren Kreis gehörte, stellte sich erst im Laufe der Zeit heraus. Das waren Richard Huelsenbeck, Franz Jung, George Grosz, Walter Mehring, Raoul Hausmann, Johannes Baader, Helmut Herzfeld (John Heartfield) und sein Bruder Wieland Herzfelde. Hannah Höch wurde über die Freundschaft mit Hausmann für Dada gewonnen.Hinzu kamen viele Freunde und Sympathisanten wie Otto Dix, Salomo Friedlaender, Eva Grosz, Rudolf Schlichter, Erwin Piscator, Carl Einstein, Jefim Golyscheff, Hans Heinz Stuckenschmidt, Ben Hecht, Erwin Blumenfeld, Karl Hubbuch und viele andere.
»Der Club DADA war – neben dem 1917 gegründeten aktionistischen Bund zum Ziel von Kurt Hiller – eine der ersten Gruppen von Künstlern und Literaten, die sich in Berlin noch vor der Novemberrevolution 1918 bildete und revoltierende Energien bündelte«, schreibt Hanne Bergius in Das Lachen DADAs. Und weiter:
»Nach der Novemberrevolution 1918 – nach der Abdankung des Kaisers, der Ausrufung einer sozialdemokratischen Republik und einer kommunistischen Räterepublik – kam es in Berlin zur Gründung etlicher Gruppen, die sich alle als ›radikal‹ verstanden, darunter der Arbeiterrat für Kunst, der Rat geistiger Arbeiter, der Stirnerbund und die Novembergruppe., die ein Zentrum aller revoltierenden Künstler und Architekten von ganz Deutschland bilden wollte. Sie war in ihren Inhalten vom Arbeiterrat für Kunst geprägt und verfolgte die Utopie, Kunst und ›Volk‹ zu vereinen. Sie hatte Einfluss auf das Konzept des Bauhauses, regte zur Gründung weiterer Gruppen in anderen deutschen Städten an und knüpfte auch internationale Kontakte, z.B. zu den Futuristen in Rom. Von den Dadaisten traten ihr Raoul Hausmann, Hannah Höch, Hans Richter und George Grosz bei. Es stellte sich aber bald heraus, dass die Inhalte der Gruppe nicht mit ihrem Handeln übereinstimmten und die Dadaisten sich als Opposition formierten. Im Unterschied zu jenen Räten nannten die Dadaisten ihre Verbindung Club, womit sie vielleicht auch Revolutionäres assoziieren wollten. Harry Graf Kessler z.B. bezeichnete die neuen linken intellektuellen Vereinigungen nach der Novemberrevolution als ›Clubs‹ , die ihn an die Zeiten der französischen Revolution erinnerten, wo in Clubs politische Fragen debattiert und entschieden wurden. Doch der Club DADA wollte sich nicht als politische Instanz aufspielen. Er verstand sich eher anarchistisch als Verspottung der ›revolutionären Konjunktur‹ » (ein Begriff, den übrigens Ernst Bloch geprägt hat), der Aktivitäten der ›Geistaristokratie‹, die, abgehoben von den Arbeiter- und Soldatenräten politisch wirken wollten. Hausmann und Franz Jung sahen das als apolitische ›intellektuelle Blähungen‘ ».
»Club«, so Hanne Bergius, »das konnte jedoch genauso gut eine Tarnung bedeuten, wie sie schon im Vormärz oftmals benutzt wurde, denn die Künstler mussten sich vor der Kontrolle durch die Polizei und die Zensur hüten. Zu jener Zeit, als der Club Dada sich formierte, traten unter der Bezeichnung ›Club‹ oftmals noch männerbündisch-monarchistisch gesonnene Vereine auf.«
Bergius sieht in der Bezeichnung ›Club‹ auch einen ironischen Bezug zu den Dandys des 19. Jahrhunderts, deren Clubs »den Inbegriff ihres gesellschaftlichen Lebens bildeten.«
Die dandyistische Gleichsetzung von Kunst und Leben war im Kern dadaistisch. »Trat der Dandy in der Kunst- und Literaturgeschichte bisher vereinzelt auf und zeichneten ihn Einsamkeit und aristokratische Attitüde aus, so sprengte der Club Dada diese als Kollektiv grotesk-exzentrisch mit der Lust des lautstarken proletarischen Protestes der Straße.«
Bluff und Parodie
»Die Ämter, Titel und Institutionen, mit denen sich der Club Dada schmückte und die er sich ironisch zulegte, waren der Anfang einer Parodie auf die Nachkriegsgesellschaft. Der Club Dada hatte nicht nur ein ›Bureau für Lostrennungsstaaten eingerichtet. Staatsgründungen in jedem Umfang laut Tarif. Hier und Dorten‹, er machte sich auch lustig über das preußische Hierarchiedenken oder die Bürokratisierung der Novemberrevolution« (Bergius) und die Flut neuer Vereinsgründungen. Bluff-Unternehmen wie die DADA-Reklame-Gesellschaft boten ihren Mitgliedern z.B. »Vorzugspreise bei der Benutzung des Dada-graphologischen Instituts; der Dada-Medizinalabteilung; des Dada-Detektivinstituts; der Reklame-Abteilung; der Zentralstelle für private männliche und weibliche Fürsorge; der Dada-Schule für Erneuerung der psychotherapeutischen Lebensbeziehung zwischen Kindern und Eltern, Ehegatten und solchen, die es waren oder zu werden beabsichtigen.«
Persifliert wurden aber auch die utopischen Ansprüche des neuen Kollektivismus: In dem Manifest Was ist der Dadaismus und was will er in Deutschland wird z.B. die »Einführung des simultanistischen Gedichtes als kommunistisches Staatsgebet« gefordert oder die »sofortige Durchführung einer großdadaistischen Propaganda mit 150 Cirkussen zur Aufklärung des Proletariats.« Und aus der »Diktatur des Proletariats« wurde bei Dada die »Proktatur des Dilletariats«, was Raoul Hausmann mit der »Arschherrschaft« gleich setzte.
Um den Esprit und die Virtuosität der zahlreichen Manifeste lebendig zu machen, hier noch ein paar Auszüge aus einem der zentralsten, dem Dadaistischen Manifest:
»Das Wort Dada symbolisiert das primitivste Verhältnis zur umgebenden Wirklichkeit, mit dem Dadaismus tritt eine neue Realität in ihre Rechte. Das Leben erscheint als ein simultanes Gewirr von Geräuschen, Farben und geistigen Rhythmen, das in die dadaistische Kunst unbeirrt mit allen sensationellen Schreien und Fiebern seiner verwegenen Alltagspsyche und in seiner gesamten brutalen Realität übernommen wird. (…) Der Dadaismus steht zum ersten Mal dem Leben nicht mehr ästhetisch gegenüber, indem er alle Schlagworte von Ethik, Kultur und Innerlichkeit, die nur Mäntel für schwache Muskeln sind, in ihre Bestandteile zerfetzt.
Das BRUITISTISCHE Gedicht
schildert eine Trambahn wie sie ist, die Essenz der Trambahn mit dem Gähnen des Rentiers Schulze und dem Schrei der Bremsen.
Das SIMULTANISTISCHE Gedicht
lehrt den Sinn des Durcheinanderjagens aller Dinge, während Herr Schulze liest, fährt der Balkanzug über die Brücke bei Nisch, ein Schwein jammert im Keller des Schlächters Nuttke.
Das STATISCHE Gedicht
macht die Worte zu Individuen, aus den drei Buchstaben Wald tritt der Wald mit seinen Baumkronen, Försterlivreen und Wildsauen, vielleicht tritt auch eine Pension heraus, vielleicht Bellevue oder Bella vista. Der Dadaismus führt zu unerhörten neuen Möglichkeiten und Ausdrucksformen aller Künste. Er hat den Kubismus zum Tanz auf der Bühne gemacht, der hat die BRUITISTISCHE Musik der Futuristen (deren rein italienische Angelegenheit er nicht verallgemeinern will) in allen Ländern Europas propagiert. Das Wort Dada weist zugleich auf die Internationalität der Bewegung, die an keine Grenzen, Religionen oder Berufe gebunden ist. Dada ist der internationale Ausdruck dieser Zeit, die große Fronde der Kunstbewegungen, der künstlerische Reflex aller dieser Offensiven, Friedenskongresse, Balgereien am Gemüsemarkt, Soupers im Esplanade etc. etc. »
Verfasser des Manifests ist Richard Huelsenbeck. Neben ihm haben es Tristan Tzara, Franz Jung, George Grosz, Marcel Janco, Raoul Hausmann und der (bisher nicht erwähnte) Musikdada Gerhard Preiß unterzeichnet. Später unterschrieb noch ein gutes Dutzend weiterer Künstler, unter ihnen Hans Arp und Hugo Ball.
Ende und Anfang: DADA forever?
Die DADA-Bewegung kann man zwischen den Jahren 1915/16 und 1924/25 verorten. Eine wichtige, leider nur in Teilen dokumentierte Veranstaltung war die Große Internationale DADA-Messe 1920 in der Galerie Dr. Otto Burchardt in Berlin. Organisiert von Raoul Hausmann, George Grosz und John Heartfield. »Die Dada-Messe wurde zum Brennspiegel von Dada Berlin, der die aktionistischen Impulse in einem gesamtkünstlerischen Erlebnis-Raum bündelte. Mit der Inszenierung von 175 Werken, die der Katalog verzeichnete, und etwa 10 Werken, die nicht aufgeführt wurden, bildete die Messe einen Höhepunkt der Dada-Aktivitäten in Berlin. (…) Über-, unter-, neben-, ja verschiedentlich sogar aufeinander waren die dadaistischen ›Erzeugnisse‹ angebracht und lösten die Wand in einer großen Montage auf.« (Bergius). Selbst die Decke wurde einbezogen und es wurden vom Ölbild, über die riesigen Assemblagen des Oberdadas Baader bis zum trivialen Objekt alle Sparten der Kunst aus- und dabei gleichzeitig das geschäftliche Prinzip einer Messe auf den Kopf gestellt.
»Viele werden sagen: so scheußlich sei selbst 1920 nicht. Es ist so: Der Mensch ist eine Maschine, die Kultur sind Fetzen, die Bildung ist Dünkel, der Geist ist Brutalität, der Durchschnitt ist Dummheit und Herr das Militär … Alle ›schönen‹ Farben und Formen sind heute Schwindel«, schrieb Otto Behne in der Zeitschrift Die Freiheit vom 9.7.1920.
Jetzt folgt eine kleine biografische Revue:
Mitte der zwanziger Jahre traten die Dadaisten immer mehr als Einzelkünstler auf. Der Kopf der Zürcher Dadaisten, Hugo Ball, zog sich mit Emmy Hennings, die er 1920 geheiratet hatte, ins Tessin zurück und konvertierte zum Katholizismus. Er soll lt. Karl Riha von der Tessiner Bevölkerung als »eine Art von Heiligem« verehrt worden sein; er starb sehr früh, 1927. In seinem Todesjahr erschien sein inzwischen legendäres Tagebuch Flucht aus der Zeit. Emmy Hennings blieb im Tessin und starb dort 1948.
Tristan Tzara übersiedelte nach Kriegsende nach Paris, wo er mit Breton, Ribemont-Dessaignes, Picabia, Aragon, Soupault, Eluard und anderen die Pariser Dada-Bewegung ins Leben rief, die sich allerdings sehr schnell mit dem französischen Surrealismus verbunden hat.
Hans Arp arbeitete nach der Zürcher Dada-Phase mit Max Ernst in Köln und auch mit Kurt Schwitters (an dessen Zeitschrift MERZ) zusammen und lebte seit 1926 in der Nähe von Paris, wo er sich den Surrealisten anschloss. Nach dem Krieg hielt er sich zeitweise in den USA auf. Er starb 1966 in Basel. An DADA erinnerte er mit den Publikationen Dadaland und Dada war kein Rüpelspiel.
Von den Berliner Dadaisten hielten Hausmann und vor allem Baader am längsten an dadaistischen Positionen fest. Hausmann gehört zu den Pionieren der phonetischen Poesie und ist einer der Begründer der Foto-Montage. Er ist Verfasser etlicher Dada-Manifeste und Mitherausgeber der Zeitschrift Der DADA. Er war vielseitig begabt, was sich in der Bezeichnung ›Dadasoph‹ widerspiegelt. Maler, Zeichner, Collagist, aber auch Tänzer und Modedesigner. Nach dem Ende der Dada-Bewegung blieb er in engem Kontakt mit Kurt Schwitters und arbeitete im Bereich der modernen Fotografie. 1933 emigrierte er nach Ibiza und kam dann über Zürich und Prag 1944 nach Frankreich, wo er in Limoges bis zu seinem Tod in Jahr 1971 lebte. Sein Erinnerungsbuch Am Anfang war Dada erschien bei uns, d.h. bei Anabas, 1972. Im Jahr zuvor hatten wir mit Hurra! Hurra! bereits seine politischen Satiren aus der Weimarer Zeit veröffentlicht.
Der Oberdada Johannes Baader, von Hause aus Architekt, arbeitete nach der Dada-Messe als Journalist beim Hamburgischen Korrespondenten. Er war laut Hausmann »im gewöhnlichen Leben ein ganz brauchbarer Mensch. (…) Während zwei Jahren war er als Gartenarchitekt bei der Tierhandelsfirma Hagenbeck in Hamburg tätig, wo er die Pläne für den ersten zoologischen Garten ohne Gitter ausarbeitete, eine Anlage, die später von den meisten zoologischen Instituten übernommen wurde.« Baader starb 1955 im Alter von 84 Jahren in einem Altersheim in Abb. 23 Niederbayern. 1977 publizierten Hanne Bergius, Norbert Miller und Karl Riha bei uns den Band Johannes Baader, OBERDADA.
Weltdada Richard Huelsenbeck, hat 1918 das Dadaistische Manifest verfasst, das praktisch von allen Zürcher und Berliner Dadaisten unterzeichnet wurde, daneben u.a. den berühmten Dada-Almanach und später etliche Bücher zur Geschichte der Dada-Bewegung. Er ist auch Autor des Gedichtsbandes Phantastische Gebete sowie mehrerer Prosa-Publikationen. Nach dem Niedergang von Dada Berlin war er als Schiffsarzt unterwegs und publizierte etlicheAbb.25 Reisebücher. 1936 emigrierte er nach New York, wo er am Central Park unter dem Namen Dr. Hulbeck eine psychiatrische Praxis eröffnete. Er übersiedelte 1970 nach Minusio (Schweiz), hielt viele Vorträge und Lesungen in Deutschland und der Schweiz, wo er 1974 starb. Von Huelsenbeck liegen zahlreiche literarisch interessante Publikationen vor.
Propagandada George Grosz, Mitherausgeber der satirischen Zeitschriften Die Pleite, Abb. 27 Jedermann sein eigener Fußball und Der blutige Ernst und später zahlreicher Bücher und Mappen mit seinen scharfen Karikaturen, darunter Das Gesicht der herrschenden Klasse, trat 1918 der KPD bei. Er war Mitorganisator der Ersten Internationalen Dada-Messe. 1933 emigrierte er in die USA, wo er als Maler erfolgreich war. 1969 kehrte er nach Ost-Berlin zurück, wo er noch im gleichen Jahr gestorben ist.
John Heartfield, der Monteurdada, hieß eigentlich Helmut Herzfeld, anglisierte aber 1918 seinen Namen aus Protest gegen die deutsche Politik. Zum Dadaismus kamen er und sein Bruder Wieland Herzfelde durch George Grosz: »Grosz bewirkte, dass wir die alltägliche Welt nicht mehr als nüchtern, banal und langweilig empfanden, sondern als ein Drama, in dem Dummheit, Rohheit und Fäulnis die Hauptrolle spielten. Er weckte in uns beiden ein neues, sehr kritisches Verhältnis zu unseren bisherigen Versuchen künstlerischer Art: Helmut verbrannte alles, was er bisher mit Kohle, Tempera und Ölfarbe geschaffen hatte,« schrieb Wieland Herzfelde. Über John Heartfield, dessen furios montierte Plakate sicher fast jeder kennt, jetzt nur noch soviel: er arbeitete seit 1917 als freier Mitarbeiter und auch als Regisseur von Dokumentarfilmen bei der UFA, was sich auch auf seine dadaistischen Montagen auswirkte. In den dreißiger Jahren erschienen seine politischen Foto-Montagen in der in hoher Auflage gedruckten Arbeiter-Illustrierten-Zeitung, kurz AIZ genannt. Heartfield emigrierte über Prag nach Großbritannien und kehrte 1950 in die DDR zurück, wo er 1968 gestorben ist.
Progressdada Wieland Herzfelde hat mit seinem Bruder John Heartfield 1916 die Zeitschrift Neue Jugend und ein Jahr später den Malik Verlag gegründet, den wohl wichtigsten linkspolitischen Verlag der Weimarer Republik. Dort erschienen u.a. auch Die Pleite und Der Dada (Nr.3). Herzfelde trat Ende 1918 in die KPD ein und war Mitveranstalter der Dada-Messe 1920. Er emigrierte 1933 über Prag und London in die USA und kehrte nach dem zweiten Weltkrieg in die DDR zurück. Er hatte Professuren für Literatur und Literatursoziologie inne und war Mitglied der Akademie der Künste der DDR. Ich habe ihn in den siebziger Jahren zusammen mit dem Literaturwissenschaftler Karl Riha in seiner Berliner Wohnung gleich hinter der Charité mehrfach besucht. Die Wohnung hatte zwei Eingangstüren. Eine trug sein Namensschild, auf der anderen stand John Heartfield. Einmal lud uns Herzfelde ins für DDR-Verhältnisse damals sehr vornehme Interhotel nahe beim Bahnhof Friedrichstraße zum Essen ein: ein gigantischer Speisesaal, fast menschenleer. Ich hatte Jeans und Parker an und trug schulterlange Haare, Riha war auch nicht besonders chic, während Herzfelde in einem guten dunkelblauen Anzug mit Krawatte auftrat. Aber er ertrug unser westlich-alternatives Outfit völlig souverän. Im Hintergrund betrat eine Gruppe von Männern den Raum, einige in Uniform, darunter auch der Verteidigungsminister der DDR, Hoffmann, wie Riha und ich gleich erkannten. Wir prosteten uns an unserem Tisch mit Rotkäppchen-Sekt zu und Herzfelde wies mit dem Kopf Richtung Gruppe und sagte fast beiläufig: »Solche Leute hat Grosz gezeichnet«. Da lebte für uns ein Stück Dada auf, mitten im tristen Staatssozialismus der DDR. Wieland Herzfelde hat erfreulicherweise noch lange gelebt – er starb 1988 im Alter von 92 Jahren in Berlin.
Ich breche mit dieser ganz unvollständigen biografischen Revue hier ab – wohl wissend, dass ich Max Ernst, den Dadamax, bisher ausgelassen habe. Er schloss sich nach Dada den Pariser Surrealisten an, überwarf sich aber bald mit ihnen und zog sich mit Leonora Carrington nach Südfrankreich zurück. 1941 emigrierte er mit Hilfe Peggy Guggenheims in die USA und kehrte später nach Europa zurück. Von 1954 an lebte er wieder in Paris, wo er 1976 als weltberühmter Künstler starb.
Und – last, but not least – die ›Dadasophin‹ Hannah Höch, die über die Freundschaft und Zusammenarbeit mit Hausmann zu Dada kam und 1918 erste Foto-Montagen und ihre großen Dada-Puppen anfertigte. So hat ein ganz großes Collagenwerk geschaffen und ist 1978 ziemlich verarmt und fast vergessen in West-Berlin gestorben. Die Anerkennung in der internationalen Kunst-Welt kam leider erst danach.
Vergessen, oder besser: hier ungerechterweise nicht weiter behandelt, auch: der DADAanarchist Franz Jung, der ›Pipidada‹ Walter Mehring, Carl Einstein, Walter Serner, Johannes Theodor Baargeld, die großen Maler Rudolf Schlichter und Otto Dix und der Regisseur Erwin Piscator, der Dada fürs Theater adaptierte.
Es versteht sich fast von selbst, dass die dadaistischen Produktionen für die Nazis zur ›Entarteten Kunst‹ zählten und die meisten dadaistischen Künstler und Literaten in die Emigration zwangen. Nach dem Krieg nahmen z.B. Hausmann und Schwitters aus dem Exil, aus Frankreich der eine, aus England der andere, Kontakt miteinander auf und hegten sogar ein gemeinsames Zeitschriftenprojekt. Wir haben bei Anabas 1986 ein Buch darüber gemacht: PIN und die Geschichte von Pin.. Es mangelte den beiden 1946 an allem -– sie hatten nicht einmal das nötige Geld fürs Porto und auch nicht für Bleistifte zum Zeichnen. Schwitters versuchte bei einem verständnisvollen britischen Bauern in einer Scheune noch einmal so etwas wie einen MERZ-Bau zustande zu bringen, starb aber darüber im Januar 1948.
In der Nachkriegszeit war Deutschland von der ganzen klassischen Moderne und erst recht von DADA wie abgeschnitten. Literarische Heroen waren seinerzeit Gottfried Benn und später Ingeborg Bachmann. Der kulturelle Kahlschlag der Nazi-Ära wirkte lange nach und erst in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entdeckten z.B. die Autoren der Wiener Gruppe, also Achleitner, Bayer, Rühm und H.C. Artmann ihre Verwandtschaft mit Dada, ebenso Vertreter der konkreten Poesie wie Bremer, Gomringer, Mon oder auch Autoren wie Helmut Heissenbüttel und – in besonderem Maße Ernst Jandl.
Die Dadaisten selber haben sich noch zu neodadaistischen Bildern, Happenings oder dem, was sie dafür hielten, geäußert. Raoul Hausmann schrieb 1970: »Anders sieht die Sache aus, wenn die Maler Piene, Mack oder Ives Klein ›schöne Aussichten‹ entweder am Nordpol oder in Paris zu hohen Preisen verkaufen. Aussichten, die jeder umsonst haben könnte. Das ist ungefähr wie das Konzert der Stille, das John Cage gab – er saß vor dem Flügel ohne eine Taste zu berühren, und das Publikum ›hörte‹ die Melodie des Schweigens. In diesen Fällen ist das Publikum phantastischer und DADAistischer als die ›Künstler’. Ebenso ist es das Publikum, das dada wird, wenn beispielsweise Carl Laszlo ihm eine Ausstellung von ›Nichts‹ anbietet – die ihr direktes Vorbild in dem Spiegel hat, den Soupault 1923 als Porträt eines Unbekannten in Paris ausstellte. Das sind faule Witze, aber ohne Geist und ohne Zukunft.« Hausmann vermisst bei den Neodadaisten auch die Protesthaltung DADAs gegenüber allen bürgerlichen und intellektuellen Traditionen und sagt: »die geistig-klimatische Hochdrucksphäre ist nicht die gleiche, um von der Empfindungsnotwendigkeit nicht zu sprechen.« Auch in der lettristischen Poesie, die sich in Paris Ende der vierziger Jahre zu einer von dem rumänischen Autor Isidore Isou geführten Bewegung entwickelte, sah Hausmann hauptsächlich (und auch ungerecht) Nachahmer am Werk.
Aus der lettristischen Bewegung entstand Ende der fünfziger Jahre die Situationistische Internationale, die an den Schnittstellen von Kultur, Politik, Architektur und Alltag arbeiten und eingreifen wollte und großen Einfluss auf den Pariser Mai 1968 hatte. Ihr wichtigster Theoretiker war Guy Debord. Der Maler Ansger Jorn mit seiner Bewegung für ein imaginäres Bauhaus gehörte dazu, ebenso die Münchner Gruppe Spur, die aber 1961 wieder ausgeschlossen wurde, ebenso Rainer Kunzelmann, der aber auch wieder rausgeworfen wurde, wegen nationalsituationistischer Aktivitäten. Die Gruppe löste sich 1972 auf. Aber es gibt weitere dadaistische Spuren bei Fluxus und in der Performance-Kunst.
Was Hausmann nicht mehr wahrnehmen konnte, war die sich seinerzeit entwickelnde gesellschaftliche Situation, die sicher nicht mit der der Weimarer Republik vergleichbar war, aber durchaus auch eine, um mit Hausmann zu reden, »geistig-klimatische« und natürlich auch politische »Hochdrucksphäre« erzeugte. Darauf reagierten in Westdeutschland Intellektuelle und politische Aktivisten mit der Subversiven Aktion. In kleinen Zirkeln der Studentenbewegung wurde da über Psychoanalyse und Marxismus, Kritische Theorie und Surrealismus diskutiert und es wurden Aktionen geplant und teilweise auch ausgeführt, die die Dadaisten bestimmt mit Sympathie verfolgt hätten.
Es gäbe weitere Beispiele, in der Pop-Musik, im Punk, im Film. Darüber und die Beziehungen zu Dada hat der Amerikaner Greil Marcus unter dem Titel Lipstick Traces – Von Dada bis Punk – kulturelle Avantgarden und ihre Wege aus dem 20. Jahrhundert ein spannendes und hochkomplexes Buch geschrieben, das 1992 in Deutschland erschien.
Man könnte also Dada noch ein Stück weit in die Gegenwart verlängern, wenn es um radikale Respektlosigkeit, provokative Aktionen und künstlerische Freisetzung geht.
Das wäre jedenfalls eine Erbschaft, die wir annehmen könnten.