„Alles, was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien," hat Niklas Luhmann bereits 1996 in „Die Realität der Massenmedien“ geschrieben. Dieser grundsätzliche Zweifel an der Welterkenntnisfähigkeit des Einzelnen ist aber weit älter und geht zurück bis zu den Anfängen des abendländischen Denkens in Platos Höhlengleichnis. Plato postuliert dort ja, dass der Mensch per se nicht die Wirklichkeit erkennen kann, sondern nur deren Widerschein an den Wänden seiner Höhle. Nun, heute scharen wir uns nicht mehr um das Lagerfeuer in der Höhle, sondern um das TV-Lagerfeuer im heimischen Wohnzimmer (und auch das mit abnehmender Tendenz, aber dazu kommen wir später). Doch wie Platons Höhlenbewohner sehen wir auch nur die Schatten der Realität, die über die Bildschirme oder die Seiten der Zeitungen huschen.
Ich sage das völlig wertungsfrei, denn hier hat Luhmann ja Recht. Unser aller Weltbild ist nur zu einem Teil und wahrscheinlich sogar dem kleineren Teil durch die unmittelbare eigene Erfahrung geformt worden, sondern vor allem durch Bücher, Zeitungsartikel oder Filme.
Nur ein Beispiel: Wahrscheinlich hätte jeder von uns eine ganz andere Haltung zum Dritten Reich, hätte er über die Verbrechen der Generation der Väter und Großväter nichts aus Büchern, aber auch aus Kinofilmen wie „Schindlers Liste“ oder TV-Serien wie „Holocaust“ erfahren, sondern wäre allein auf die Erzählungen der damals noch lebenden Zeitgenossen angewiesen gewesen. Wie „gut“ die Generation der Täter und Mitwisser dieses Kapitel deutscher Geschichte aufgearbeitet hat, ist ja bekannt.
Der Philosoph Günther Anders, der in seinem Werk „Die Welt als Phantom und Matritze“ selbst bereits in den Fünfzigern eine grundlegende Medienkritik geschrieben hat, revidierte Anfang der Achtziger Jahre seine negative Einschätzung des Fernsehens teilweise. Anders war überrascht, dass ausgerechnet die Hollywood-Serie „Holocaust“, in der der Massenmord an den Juden am Beispiel der fiktiven Familie Weiß herunter gebrochen und damit anschaulich gemacht wurde, erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine umfassende Diskussion über die Verbrechen des Nationalsozialismus und deren im Nachkriegsdeutschland weitgehend verweigerte Aufarbeitung auslöste.
„Hatte ich in meinem ersten Bande der „Antiquiertheit des Menschengeschlechts“ noch empfohlen, „zu übertreiben in Richtung Wahrheit“, so empfehle ich nun das Umgekehrte, „zu untertreiben in Richtung Wahrheit“, das heißt die durch ihre Enormität unauffassbare Wahrheit so zu verkleinern, dass wir von ihr nicht ganz ausgeschlossen werden. (…) Erst durch die untertreibende Behandlung des Themas erst durch dessen Understatement ist dieses in das Blick- und in das Emotionsfeld von Millionen geraten.“
Günther Anders: „Nach 'Holocaust' 1979” erschienen im Band Besuch im Hades
Nach Anders können wir also die Welt nur erkennen, wenn sie klein genug für unseren Blick oder anders formuliert, wenn wir weit genug von ihr entfernt sind, um sie oder eben ihren Abglanz in Gänze zu erfassen.
Ich möchte hier einen kleinen Exkurs einschieben. In den 90er Jahren bin ich rund ein Dutzend Mal als LKW-Fahrer für eine private Hilfsorganisation in die Kriegsgebiete des damals zerfallenden Jugoslawiens gereist und später noch zweimal während des Kosovokriegs nach Albanien. Dabei habe ich jedes Mal die gleiche beunruhigende Erfahrung gemacht. Angesichts der Binse, dass die Wahrheit stets das erste Opfer im Krieg ist, hatte ich die mediale Vermittlung des Konflikts bis dato mit einem gewissen Argwohn betrachtet, und mir vor Ort authentischere Erkenntnisse erhofft. Die Erfahrung war indes eine gegenteilige. Je näher ich den Kampfgebieten kam, desto mehr wurde ich von medialen Informationsquellen abgeschnitten. Das Internet spielte damals noch nicht seine omnipräsente Rollen von heute. In Albanien reduzierte sich der externe Zufluss von Informationen auf ein tägliches dreiminütiges Satellitentelefonat mit der Redaktion, was übrigens enorm teuer war. Vor Ort gab es in der Regel nur eine Flut von schwer bis gar nicht einzuordnenden Eindrücken und jede Menge wilder Gerüchte. Das Gesamtbild trat erst mit der Entfernung von der Front wieder deutlicher hervor, als man auf der Fähre nach Italien oder im Autoradio in Österreich wieder die ersten Nachrichten hörte. Der frühere US-Außenminister Robert McNamara hat dieses Phänomen einmal den „Fog of war“ genannt, ich würde sogar von einem „Fog of reality“ sprechen.
Angesichts dieses grundlegenden Dilemmas werden schon die enorme Macht von Medien und ihre gleichzeitige Beschränktheit deutlich. Zum einen sind sie es erst, die einen weiteren Blick auf die Realität ermöglichen, sie sind die Gatekeeper, die ein wenig Licht in unsere platonischen Höhlen bringen, zum anderen unterliegen Medienproduzenten natürlich den gleichen Perzeptionsbeschränkungen wie ihre Rezipienten. Wie schmal dieses Tor eigentlich ist, zeigt unter anderem der Umstand, dass es weltweit nur noch drei globale Nachrichtenagenturen gibt: Associated Press (AP), Agence France-Press und Reuters London. Auch im deutschsprachigen Raum sind es nur noch drei: dpa, AP und Reuters.
Dem Siegeszug der Massenmedien, beginnend mit den Zeitungen im Gefolge der Erfindung der Druckerpresse, später dann gefolgt vom Radio, dem Fernsehen und schließlich dem Internet, folgte - vor allem im 20 Jahrhundert – eine kritische Begleitung durch die Geisteswissenschaften. Luhmann und Anders wurden bereits genannt. Des Weiteren will ich hier nur kurz auf Noam Chomskys Propagandamodell verweisen, nach dem die großen Medienkonzerne ein pluralistisches und nicht-verschwörerisch agierendes Propagandasystem bilden können, das fähig ist, ohne zentrale Steuerung, einen Konsens im Interesse der gesellschaftlichen Oberschicht herzustellen und die öffentliche Meinung zu formen, während gleichzeitig der Anschein eines demokratischen Prozesses der Meinungsbildung und der Konsensfindung gewahrt bleibt. Und natürlich muss man hier Hans Magnus Enzensbergers Theorie der Bewusstseinsindustrie nennen. Dazu aber später ein wenig mehr.
Interessanterweise waren aber die schärfsten Kritiker von Journalisten meist selbst Journalisten, angefangen bei einer des Hauptleitartiklers der New York Times, John Swinton, Rede vor Berufskollegen im Jahre 1883, in der dieser sagte:
„So etwas wie eine unabhängige Presse gibt es in Amerika nicht, außer in abgelegenen Kleinstädten auf dem Land. Ihr seid alle Sklaven. Ihr wisst es und ich weiß es. Nicht ein einziger von euch wagt es, eine ehrliche Meinung auszudrücken. Wenn ihr sie zum Ausdruck brächtet, würdet ihr schon im Voraus wissen, dass sie niemals im Druck erscheinen würde. Ich bekomme 150 Dollar dafür bezahlt, dass ich ehrliche Meinungen aus der Zeitung heraushalte, mit der ich verbunden bin. Andere von euch bekommen ähnliche Gehälter um ähnliche Dinge zu tun. Wenn ich erlauben würde, dass in einer Ausgabe meiner Zeitung ehrliche Meinungen abgedruckt würden, wäre ich vor Ablauf von 24 Stunden wie Othello: Meine Anstellung wäre weg. Derjenige, der so verrückt wäre, ehrliche Meinungen zu schreiben, wäre auf der Straße um einen neuen Job zu suchen. Das Geschäft des Journalisten in New York ist es, die Wahrheit zu verdrehen, unverblümt zu lügen, sie zu pervertieren, zu schmähen, zu Füßen des Mammon zu katzbuckeln und das eigene Land und Volk für sein tägliches Brot zu verkaufen, oder, was dasselbe ist, für sein Gehalt. Ihr wisst es und ich weiß es; Was für ein Unsinn, einen Toast auf die ‚Unabhängigkeit der Presse‘ auszubringen! Wir sind Werkzeuge und Dienstleute reicher Männer hinter der Bühne. Wir sind Hampelmänner. Sie ziehen die Fäden und wir tanzen. Unsere Zeit, unsere Fähigkeiten, unser Leben, unsere Möglichkeiten sind alle das Eigentum anderer Menschen. Wir sind intellektuelle Prostituierte.“
E. J. Schellhouse: The New Republic. Founded on the Natural and Inalienable Rights of Man 1883, S. 122–123
Ähnlich, aber kürzer fällt das Verdikt von Karl Kraus aus, dass es die Aufgabe der Journalisten sei, den Geist der Menschen zu erweitern und ihre Aufnahmefähigkeit zu zerstören.
Und einigen vielleicht bekannt sein dürfte der Satz des Publizisten Paul Sethe, der in einem Leserbrief im Spiegel vom 5. Mai 1965 schrieb: „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. (...) Da die Herstellung von Zeitungen und Zeitschriften immer größeres Kapital erfordert, wird der Kreis der Personen, die Presseorgane herausgeben, immer kleiner. Damit wird unsere Abhängigkeit immer größer und immer gefährlicher.“
Nun, die Zahl der reichen Männer, die laut Sethe allein die Freiheit haben, ihre Meinung zu verbreiten, dürfte seit den fünfziger Jahren deutlich abgenommen haben. Der ohnehin seit Jahren konstante Druck zur Konzentration im Pressewesen hat mit der um die Jahrtausendwende einsetzenden Krise der Branche ja noch zugenommen – wir leben da in Gießen übrigens auf einer anachronistischen Insel der Seligen. Fusionen zu immer größeren Konzernen und das Zusammenlegen von Mantelredaktionen haben die publizistische Vielfalt reduziert. Der Zeitungsforscher Horst Röper warnte vor kurzem im Deutschlandfunk: „Flächendeckend entsteht eine einheitliche Berichterstattung. Das ist das Gegenteil von dem, was wir eigentlich im Medienmarkt erwarten.“
Gleichzeitig werden die Eigentumsverhältnisse innerhalb der einzelnen Konzerne immer undurchschaubarer. Erschwert werden Einblicke von außen durch den sogenannten Tendenzschutz, der Zeitungsverlage, was die Auskunftspflicht etwa gegenüber Arbeitnehmervertretern, im Vergleich zu anderen Unternehmen einschränkt.
Wie angekündigt komme ich noch einmal kurz auf Enzensberger zurück, der in der Bewusstseinsindustrie nicht nur Risiken, sondern auch Chancen sah. Einerseits übernähmen die elektronischen Medien in der modernen Gesellschaft immer mehr „Steuerungs- und Kontrollfunktionen“, andererseits durchbreche ihre technische Struktur bisherige Beschränkungen. Die Vermassung der Kommunikationsinhalte ebenso wie die Vielfalt der Kommunikationswege untergrabe die Möglichkeiten der Zensur. Da elektronische Medien die Information beliebig reproduzierbar und allgemein zugänglich machten, durchbrächen sie auch soziale Barrieren. „Die neuen Medien sind ihrer Struktur nach egalitär,“ so Enzensberger 1970 im Kursbuch 20.
Von zentraler Bedeutung für Enzensbergers Medientheorie ist die Aufhebung der Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten. Das war 1970 trotz der Existenz von Piratensendern und Kleinstverlagen noch eher Zukunftsmusik. Aufgehoben wurde die Trennung zwischen Konsumenten und Produzenten schließlich mit der Etablierung des Internets in der zweiten Hälfte der Neunziger Jahre. Dieser Prozess mit seiner enormen Beschleunigung und Disruption klassischer Geschäftsmodelle, seien das nun Plattenlabel, Filmstudios, Buchverlage, Videotheken und eben auch Zeitungsverlage, hat zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte Waffengleichheit für alle Mediennutzer hergestellt. Heute brauchte es nicht mehr eine Rotoman-Druckmaschine, deren Kosten im zweistelligen Millionenbereich liegen, sondern es reicht ein PC mit Internetzugang, um potentiell Millionen Menschen zu erreichen. Damit haben die alteingesessenen Medienproduzenten ihre seit Gutenbergs Tagen behauptete Gatekeeper-Funktion eingebüßt. Sie stehen nicht mehr im Mittelpunkt der Meinungsbildung, sondern sind nur einer von vielen und zunehmend mehr werdender Akteure. Auf diese kopernikanische Kränkung reagieren viele Journalisten mit einer Mischung aus Hilflosigkeit und Arroganz.
Wie blankgescheuert die Nerven in manchen hochdotierten Chefsesseln sind, soll exemplarisch die Antwort des Rundfunkrates des „Südwestrundfunks“, Dr. Gerhard Bronner, an den Blog „Rationalgalerie“ belegen. Die Macher dieses Blogs hatten beim SWR Programmbeschwerde gegen dessen Berichterstattung über den Syrienkrieg eingelegt.
„Sehr geehrte Herren,
Wir haben heute im Rundfunkrat des SWR Ihre Programmbeschwerden zur Syrien Berichterstattung einstimmig abgelehnt.
Lassen Sie mich trotzdem einige ergänzende Worte sagen.
Sie machen sich zum Fürsprecher von Kriegstreibern und Massenmördern, berufen sich dabei auf Quellen, die von genau diesen gespeist werden und die als staatlich finanzierte Desinformation bekannt sind (Russia Today).
Ich darf Sie erinnern, wie der Syrien Konflikt begonnen hat. 19 Kinder wurden wegen Wandparolen gefoltert, Protestierer dagegen wurden erschossen.
Ihre Rechenkünste hinsichtlich der in Ostaleppo eingeschlossenen erinnern an die Holocaustleugner, die sagen, Millionen von Juden hätte man technisch gar nicht umbringen können.
Vermutlich hätten Sie auch Journalisten verleumdet, die kritisch über die Reichspogromnacht oder die Morde in Srebrenica berichtet haben.
Wahrscheinlich kann ich Sie inhaltlich nicht überzeugen. Ich weiß auch nicht, mit welchem Hintergrund Sie solche Positionen vertreten - ob AfD, Altkommunisten, Neunationalisten, Reflex-Antiamerikanisten, Verschwörungstheoretiker. Ich möchte Sie bitten: belästigen Sie künftig nicht mehr Sender, ihre Gremien und Personen, die ihre Zeit produktiver verbringen könnten. Toben Sie sich woanders aus. Und erwägen Sie auch therapeutische Hilfe.
Freundliche Grüßehttp://www.rationalgalerie.de/schmock/ein-pawlow-rundfunkrat.html
Es ist für Journalisten, die schon ein paar Jahre länger im Geschäft sind, nach wie vor eine irritierende Erfahrung, dass die Konsumenten unserer Beiträge nicht mehr als Bittsteller brav ihre Leserbriefe schreiben, ohne Anspruch auf ungekürzte Wiedergabe versteht sich, sondern uns postwendend auf Facebook unsere Fehler vorhalten.
Als eine Gießener Kneipe im Vorjahr ankündigte, keine AfD-Wähler mehr zu bedienen, hatte ein junger Kollege im Eifer der guten Gesinnung das eherne Postulat von Hans Joachim Friedrich vergessen, dass sich ein guter Journalist mit keiner Sache gemein macht, nicht einmal mit einer guten. Also postete er auf unserer Facebook-Seite, dass das eine gute Idee und zur Nachahmung empfohlen sei. Das Ergebnis war, wie man sich denken kann, ein kleines Fäkalunwetter im Internet, was die Kollegen den betreffenden Post des Gutmeinenden löschen ließ - was den Shitstorm indes nur noch schlimmer machte. Natürlich postete postwendend ein User einen Screenshot mit der ursprünglichen Version der Seite und dem nun natürlich unvermeidlichen Kommentar: „Lügenpresse“.
Womit wir beim eigentlichen Thema des Tages wären:
Der Vorwurf Lügenpresse richtet sich ja nicht gegen sachliche Fehler, die eben auch Journalisten machen, sondern gegen den Vorwurf der bewussten Verfälschung von Fakten.
Meine erste These lautet nun, dass dieser Vorwurf in Teilen zutrifft, allerdings kein neues Phänomen beschreibt, sondern ein altes deutlicher hervortreten lässt. Meiner Meinung hat Chomskys These noch immer Gültigkeit, dass die großen Medienkonzerne ein pluralistisches und nicht-verschwörerisch agierendes Propagandasystem bilden können, das fähig ist, ohne zentrale Steuerung einen Konsens im Interesse der gesellschaftlichen Oberschicht herzustellen und die öffentliche Meinung zu formen. Doch mit der Erfindung der medialen Armbrust Internet haben die „Bauern“ erkannt, dass die auf den hohen Rossen nicht unbesiegbar sind. Wie reagieren nun die Mächtigen und ihre Medienritter? Nun, man kann wie weiland der Papst die Armbrust als ketzerische Waffe verbannen, das Äquivalent zu meiner Metapher wäre der als Reaktion zum Lügenpresse-Vorwurf in die Diskussion gedrückte Begriff „Fake News“, der meiner Meinung nach eher zur Diskreditierung der neuen Konkurrenz dient, als dass er ein neues Phänomen aufgreift.
Und man kann angesichts der neuen Bedrohungen von außen sich innerhalb des solange herrschenden Systems verschanzen und seine internen Differenzen dem gemeinsamen Ziel unterordnen. Meine zweite These wäre, dass aus diesem Grund eine zunehmende Vereinheitlichung der publizierten Meinungen in den Mainstream-Medien zu beobachten ist, und die reicht mitunter von der FAZ bis zur taz.
Dass es innerhalb der großen Koalition der Medien ein einheitliches, nicht zu hinterfragendes und zur Not auch mit kleinen Verbiegungen oder Auslassungen der Fakten zu unterstützendes Narrativ gibt, ist bereits unserem heutigen Bundespräsidenten aufgefallen, der 2014 in einer Rede sagte: „Wenn ich morgens manchmal durch den Pressespiegel meines Hauses blättere, habe ich das Gefühl: Der Meinungskorridor war schon mal breiter. Es gibt eine erstaunliche Homogenität in deutschen Redaktionen, wenn sie Informationen gewichten und einordnen. Der Konformitätsdruck in den Köpfen der Journalisten scheint mir ziemlich hoch.“
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Reden/2014/141115_Rede_BM_anl%C3%A4sslich_Verleihung_Lead_Awards.html
Dass Steinmeier da nicht so falsch liegt, will ich an drei Beispielen zeigen und auch illustrieren. An der medialen Darstellung der Euro/Griechenlandkrise, der Wertung der militärischen Konflikte in der Ukraine und Syrien und schließlich am medialen Umgang mit der Flüchtlingskrise.
Das herrschende Narrativ zur griechischen Staatsverschuldung, und hier muss man wirklich von einer Erzählung, also einem rein fiktionalen Subtext der Berichterstattung sprechen, war und ist, dass Griechenland sich in die Währungsunion getrickst, dann über seine Verhältnisse gelebt und schließlich von der Großmut der internationalen Staatengemeinschaft und deren großzügigen Hilfspaketen, trotz fortgesetzter Undankbarkeit gerettet wurde und wird. Über dieses Narrativ herrscht bis heute in allen Medien weitgehende Einigkeit. Dass mit den Hilfspaketen freilich nicht die Griechen, sondern die von hohen Darlehenszinsen angelockten privaten Gläubiger auf Kosten der Steuerzahler herausgehauen wurden, wird eher selten in Leitartikeln und Talkshows kommuniziert.
Ich zitiere deshalb aus einem Artikel der Nachdenkseiten von 2013:
„Am Vorabend der Krise war Griechenland mit insgesamt 297 Mrd. Euro verschuldet, dies entsprach damals 129% des griechischen Bruttoinlandsprodukts. Dreieinhalb Jahre später sieht die Situation nach dem „großen“ Schuldenschnitt für Privatgläubiger und der Aktion „Schuldenrückkauf“ anders aber keinesfalls besser aus. In diesem Jahr wird die griechische Staatsverschuldung nach Schätzungen des IWF auf 323 Mrd. Euro steigen, was dann einer Staatsschuldenquote von 176% entspräche. Obgleich die Euroländer, die EZB und der IWF nunmehr stolze 207 Mrd. Euro in die Hand genommen haben, sind die Schulden Griechenlands nicht gesunken, sondern ganz im Gegenteil massiv gestiegen. Interessant und erschütternd ist dabei ein Blick auf die Gläubigerstruktur. War der griechische Staat im März 2010 noch zu 100% bei privaten Gläubigern verschuldet, so ist der Anteil des Privatsektors bis Ende 2012 auf 19% gesunken – 81% der Forderungen gegenüber dem griechischen Staat hält heute nach Angaben des Bundestags der öffentliche Sektor, also die Eurostaaten, der IWF und die EZB. Der öffentliche Sektor haftet direkt oder indirekt sogar für 98,4% der griechischen Staatsschulden, Ende des Jahres sind dies 318 Mrd. Euro. Seit der fast vollständigen Verdrängung des Privatsektors aus der Gläubigerstruktur ist der griechische Staat nur noch ein Durchlauferhitzer für Milliardentransfers. Die Troika leiht dem griechischen Staat neue Milliarden, mit denen er Altschulden in gleicher Höhe bei der Troika begleichen kann. Rechte Tasche, linke Tasche und über den Zins wird dabei Tag für Tag dringend benötigtes Geld aus Griechenland abgesaugt.
Betrachtet man die Systematik der „Griechenlandrettung“, so folgt sie einem eindeutigen Muster: Die mehr als 200 Mrd. Euro, die bislang nach Griechenland überwiesen wurden, dienten vor allem dem Zweck, privaten Gläubigern die zu erwartenden Verluste zu ersparen. Statt der privaten Gläubiger trägt nun der Steuerzahler das komplette Ausfallrisiko. Dabei stellt sich nicht die Frage, ob es zu Verlusten kommt, sondern lediglich, wie hoch die Verluste ausfallen und wann die Politik die Ehrlichkeit aufbringt, dem Wähler die schlechte Nachricht zu überbringen“.
Im Zuge der Finanzkrise kam es zu einem der wenigen direkten Eingriffe der Politik in die Medien. „Am 8. Oktober 2008, hatte die Bundeskanzlerin die bedeutenden Chefredakteure der bedeutenden Medien eingeladen. Man findet keinen ausführlichen Bericht über dieses Treffen, der veröffentlicht worden wäre und überhaupt nur wenige Erwähnungen. An einer Stelle liest man, worum es an diesem Abend im Kanzleramt ging: Merkel bat die Journalisten, zurückhaltend über die Krise zu berichten und keine Panik zu schüren“, so die Süddeutsche Zeitung, die als eine der wenigen Teilnehmer dieses Treffens gegen die Omerta verstieß.
http://www.sueddeutsche.de/medien/serie-wozu-noch-journalismus-das-ist-nicht-ihr-kanzleramt-1.63398-2
Noch im Februar 2009, vier Monate später, wunderte sich die taz über die Kollegen: „Sie halten die Bürger bei Laune, auf dass diese stillhalten. Wie viel Geld bereits in die Banken gepumpt wurde, wie viele Milliarden Bürgschaftszusagen vergeben wurden (und wie viele Hartz-IV-Monats"löhne" das sind), das steht auch nicht in der Zeitung.“
http://www.taz.de/!721244/
Im Zuge des Ukrainekonflikts hat die Kanzlerin ihre Wünsche 2015 auf der Münchener Sicherheitskonferenz formuliert: „Da müssen wir Aufklärung machen in unseren Bevölkerungen. Da müssen wir Klarheit schaffen, weil ansonsten allein die gesellschaftliche Meinungsbildung zu dem zum Beispiel, was in der Ukraine vorgeht. Wo immer dann wieder so ‘ne Art Äquidistanz ist: Der eine ist ... macht Fehler. Der andere macht Fehler und ist es nicht überhaupt ganz schlecht. Das ist, glaube ich, im Augenblick etwas, wo wir dran arbeiten müssen."
https://www.youtube.com/watch?v=B4WQbnJz3Mc&t=51m34s
Äquidistanz ist sowohl in der Ukraine als auch später in Syrien etwas, was man den Medien wirklich nicht vorwerfen kann.
Am 20. Mai 2014 wurde folgender Beitrag in den ARD-Tagesthemen ausgestrahlt: https://www.youtube.com/watch?v=6W4R7_AAaDM
Fast ein halbes Jahr später, am 1. Oktober 2014, entschuldigte sich Moderator Thomas Roth für einen Bericht des Moskau-Korrespondenten Udo Lielischkies vom 20. Mai 2014, nach dem zwei Bürger der Stadt Krasnoarmeysk durch „Kugeln der neuen Machthaber" getötet wurden. Täter waren aber Angehörige einer ukrainischen Miliz.
https://www.youtube.com/watch?v=4S8SfvGU_-w
Besonders peinlich dabei war, dass die „Tagesthemen“ bereits neun Tage zuvor über diesen Vorfall berichtet hatten und zwar mit der korrekten Benennung der Täterschaft auf Seiten ukrainischer Freiwilligen-Verbände.
Grund für diese so noch nie dagewesene Entschuldigung war eine offizielle Beschwerde des ARD-Programmbeirates. Eine bereits am 22. Mai 2014 eingereichte Beschwerde von Netzaktivisten an die zuständige Redaktion war offenbar von den Programmverantwortlichen bis dato ignoriert worden.
https://www.youtube.com/watch?v=Z1vX2mjDPZM
In der ARD-Mediathek hat man die komplette Folge der Tagesthemen gleich gelöscht, anstatt sie dort zu belassen und mit einem Text zu korrigieren, was eine transparente Vorgehensweise wäre.
Der Programmbeirat der ARD hatte auf seiner Sitzung im Juni 2014 die Berichterstattung der größten öffentlichen Medienanstalt über den Ukraine-Konflikt kritisiert. Die ausgestrahlten Inhalte hätten teilweise den „Eindruck der Voreingenommenheit erweckt" und seien „tendenziell gegen Russland und die russischen Positionen" gerichtet, heißt es im Resümee aus dem Protokoll des neunköpfigen Gremiums. Wichtige und wesentliche Aspekte des Konflikts seien von den ARD-Redaktionen „nicht oder nur unzureichend beleuchtet" worden, insgesamt zeigte sich die Berichterstattung „nicht ausreichend differenziert", urteilen die Medienkontrolleure.
Vor seiner Juni-Sitzung analysierten die Mitglieder des beratenden Gremiums „eine ganze Reihe von Beiträgen" über die Krise in der Ukraine. Anlass für diese Maßnahme, welche der Beirat selbst als „ungewöhnlich" bezeichnet, war die breite Kritik aus den Reihen des Publikums an der Ukraine-Berichterstattung im Ersten. Die Zuschauer beklagten „Einseitigkeit zulasten Russlands, mangelnde Differenziertheit sowie Lückenhaftigkeit", heißt es dazu in dem einstimmig verabschiedeten Bericht des Gremiums.
Weiterhin moniert der Beirat, dass die „Verfassungs- und Demokratiekonformität" der Absetzung Janukowitschs sowie die Rolle rechtsradikaler Kräfte bei dessen Sturz nicht hinreichend Gegenstand der ARD-Berichterstattung waren. Zudem hätte sich der Beirat eine kritische Analyse von Politikern wie Julia Timoschenko und Vitali Klitschko gewünscht. Gerade in jüngster Zeit fehlten „belastbare Belege für eine Infiltration durch russische Armeeangehörige". Die Mitglieder des Beirats vermissen „zudem einen längeren Beitrag, um die tieferen Ursachen der Krise" verständlich zu machen.
Von allen untersuchten Formaten, darunter auch die Brennpunkt-Sendungen und viele Magazin-Beiträge, erwähnen die Beiratsmitglieder nur die Redaktionen „ttt“, „Plusminus“, „Monitor“ und „Panorama“ mit „einigen wenigen positiven" Themensetzungen. Alle anderen Beiträge erfahren in dem Bericht eine vernichtende Kritik. Wertungen, wie „fragmentarisch", „tendenziös", „mangelhaft" und „einseitig", durchziehen das gesamte Resümee aus dem Protokoll.
Ob diese Empfehlungen umgesetzt würden, sei jedoch fraglich. Wichtige Entscheider, wie der Intendant Tom Buhrow und der Fernsehdirektor Jörg Schönenborn, beide aus dem WDR, hätten intern offensiv für eine redaktionelle Linie geworben, die sich darauf konzentriere, die „westlichen Positionen zu verteidigen". Insbesondere Tom Buhrow soll in der Konferenz der Gremienvorsitzenden der ARD auf die kritischen Anmerkungen durch den Beirat „extrem aufgebracht und teilweise unsachlich" reagiert haben, so ein Mitglied des Beirats gegenüber dem Internetportal Telepolis, dem auch das Protokoll, dieser an sich vertraulichen Sitzung zugespielt worden ist.
ARD-Chefredakteur Thomas Baumann äußerte sich zu diesen Vorwürfen wie folgt: „Den Vorwurf einer einseitigen und tendenziösen Berichterstattung über den Ukraine-Konflikt weise ich energisch zurück. Es gab und es gibt zahlreiche Beiträge, Sendungen und Sondersendungen im Ersten Programm, die in der Summe die Lage in der Ukraine und die Ursachen der Krise differenziert und unter verschiedenen Aspekten thematisiert haben und thematisieren.“
https://www.heise.de/tp/features/Ukraine-Konflikt-ARD-Programmbeirat-bestaetigt-Publikumskritik-3367400.html
Das ARD-Medienmagazin „Zapp“ hat diesen Konflikt in einem durchaus selbstkritischen Beitrag aufgegriffen.
https://www.youtube.com/watch?v=1PAalqzGFVA
Damit leite ich über zu einem anderen Konflikt, der in den Mainstream-Medien ähnlich einseitig dargestellt wird, wie der in der Ukraine.
Vielen dürfte noch die exzessive Berichterstattung über den Fall von Aleppo in Erinnerung sein, auch wenn genaugenommen nur der von islamistischen Rebellen kontrollierte Ostteil der Stadt nach schweren Häuserkämpfen und exzessiven Luftangriffen der mit Machthaber Assad verbündeten russischen Streitkräfte zurückerobert wurde. Tagelang wurde mit einer verbalen Vehemenz über die Kämpfe berichtet, die in bemerkenswertem Kontrast stehen zu der spärlichen Berichterstattung über die ungefähr zeitgleich erfolgte Rückeroberung Mossuls aus den Händen des islamischen Staates durch irakische Regierungstruppen, unterstützt durch exzessive Luftangriffe der verbündeten US-Streitkräfte. Während es in unseren Medien kaum Bilder von den Kämpfen eines Bündnispartners gab, herrschte an Berichten aus Aleppo kein Mangel, ob das nun achtjährige Mädchen waren, die aus der belagerten Stadt twitterten, oder Features über den „Katzenmann“ von Aleppo, der dort ein Tierheim betrieb. Diese Einseitigkeit lässt sich zum Teil durch die - bis heute übrigens - Hauptinformationsquelle deutscher Mainstream-Medien erklären. Die syrische Beobachtungstelle für Menschenrechte. Sie wird in ARD und ZDF seit Jahren als Informationsquelle genutzt. Das Problem ist dabei aber, dass es die seit spätestens 2012 nicht mehr gibt. Die heutige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte ist ein Ein-Mann-Unternehmen, das von Osama Suleiman, einem syrischstämmigen Briten und Eigner eines Bekleidungsgeschäftes, der nach eigenen Angaben weder über eine journalistische Ausbildung noch über einen höheren Schulabschluss verfügt, aus seinem Privathaus in Coventry, England betrieben wird. Nach eigenen Angaben kann Suleiman auf ein Netzwerk von Informanten in Syrien zurückgreifen. Unter Kritik geriet die Beobachtungsstelle im Herbst 2011, als zahlreiche Medien, darunter CNN, eine auf einem Bericht der Beobachtungsstelle beruhende Falschmeldung verbreiteten, nach der in der Stadt Hama neugeborene Säuglinge in Brutkästen gezielt getötet worden seien, indem das syrische Regime die Stromversorgung des Krankenhauses unterbrochen habe. Ältere werden sich vielleicht noch an eine andere Brutkästen-Story erinnern, die Amerika in den zweiten Irakkrieg führte. Während CNN als Quelle für seine Falschmeldung die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte angab, zitierte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte auf ihrer Internetseite daraufhin CNN als ihre Quelle.
http://english.al-akhbar.com/content/syrian-observatory-inside-story
Dennoch ist sich ARD-Korrespondent Volker Schwenck, der über den Syrienkonflikt aus Kairo berichtet, sicher: „Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte liefert absolut brauchbare Hinweise auf Ereignisse in Syrien.“
https://www.tagesschau.de/ausland/syrische-beobachtungsstelle-101.html
Eine weitere nicht unumstrittene Organisation des Konflikts sind die sogenannten Weißhelme. Die Weißhelme sind eine private Zivilschutzorganisation von Freiwilligen in Syrien, die nur in den von Oppositions-Milizen kontrollierten Teilen des Landes aktiv ist. Die Organisation hat ihren Sitz in Großbritannien, ist nicht zu verwechseln mit den staatlichen syrischen Zivilschutzkräften und ist im Gegensatz zu diesen auch nicht Mitglied in der Internationalen Zivilschutzorganisation. Gegründet wurden die Weißhelme Anfang 2013 von James Le Mesurier, einem früheren Offizier der britischen Armee und späteren privaten Sicherheitsberater. Kritiker monieren, die Weißhelme seien eine Kreation westlicher Regierungen und von einer großen PR-Agentur zu Heldengestalten aufgebaut worden; tatsächlich träten die Weißhelme für eine militärische Intervention der USA und für einen Regimewechsel in Syrien ein. In der Tat wird die Organisation heute vom britischen Außenministerium, den USA, Kanada, Dänemark, Japan, Neuseeland, den Niederlanden und Deutschland unterstützt. Obwohl die Weißhelme ausschließlich mit den islamistischen Rebellengruppen in Syrien kooperieren, erfreuen sie sich im Westen höchster Wertschätzung. 2016 wurden sie für den Friedensnobelpreis nominiert und mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Im selben Jahr erhielten sie den Deutsch-Französischen Preis für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit und aus Hollywood gab es noch einen Oscar obendrauf.
https://de.wikipedia.org/wiki/Syrischer_Zivilschutz_(Wei%C3%9Fhelme)#Auszeichnungen
Ich denke, die Weißhelme werden in unseren Medien auch so gerne gezeigt; weil sie eine weitere Konstante der Syrien-Berichterstattung bedienen: Starke Emotionalisierung. Nirgends wurde das so deutlich, wie bei DER Geschichte von Omran, dem sogenannten „Dustboy“. Und ich glaube, es gibt keinen, der dieses Foto nicht gesehen hat.
http://cdn.cnn.com/cnnnext/dam/assets/160818142212-05-omran-daqneesh-aleppo-syria-exlarge-169.jpg
Verbreitet wurde das Bild vom Aleppo Media Centre einer „langer Zeit bestehenden Gruppe aus Anti-Regierungs-Aktivisten und Bürgerjournalisten, die den Konflikt dokumentieren“, so Anne Barnard von der New York Times. Finanziert wird das Aleppo Media Centre unter anderem von Canal France International, dem Mediendienstleister des französischen Außenministeriums, und soll nach dessen Vorstellungen „hochqualitative und professionelle Informationen erstellen und zukünftig zu den Stützpfeilern einer Medienlandschaft nach der Krise“ werden, also nach Assad.
https://propagandaschau.wordpress.com/2016/09/22/vanessa-beeley-das-aleppo-media-centre-wird-vom-franzoesischen-aussenministerium-der-eu-und-den-usa-finanziert/
Wie hochprofessionell diese Informationen erstellt werden, zeigt
https://www.youtube.com/watch?v=mQOySaECh70
Der Vater von Omran behauptet mittlerweile die ganze Geschichte sei inszeniert und sein Sohn lediglich mit roter Farbe beschmiert worden. Auch diese Auskunft ist mit Vorsicht zu genießen, da der Vater und sein Sohn heute in dem von Assad kontrollierten Gebiet leben, also wahrscheinlich auch instrumentalisiert werden. Nichtsdestoweniger zeigt das Video aber deutlich, dass die medizinische Versorgung Omrans und der anderen Kinder nicht die oberste Priorität hatten, eindrucksvolle Bilder für die Weltpresse waren offensichtlich wichtiger.
Womit wir beim letzten und vielleicht augenscheinlichsten Beispiel für einen einvernehmlichen Zusammenschluss der Medien unter dem herrschenden Narrativ der Regierenden wären, der sogenannten Flüchtlingskrise. Und hier haben es die Medien sogar schriftlich. Im Juli bescheinigte ihnen die gewerkschaftsnahe Otto-Brenner-Stiftung „das Narrativ Willkommenskultur im Sinne der Positionen des Politdiskurses verbreitet und hierbei deren euphemistisch-persuasive Diktion“ übernommen zu haben.“ Journalisten seien ihrer Rolle als Aufklärer nicht gerecht geworden, resümiert der Studienleiter Michael Haller. Statt kritisch zu berichten, habe der „Informationsjournalismus die Sicht, auch die Losungen der politischen Elite“ übernommen und sei selbst mehr als politischer Akteur denn als neutraler Beobachter aufgetreten. Sorgen und Ängste der Bevölkerung seien hinter der großen Erzählung von der „Willkommenskultur“ fast völlig zurückgedrängt, Andersdenkende diskursiv ausgegrenzt worden.“ Auch Regionalzeitungen hätten den von den politischen und medialen Meinungsmachern vorgegeben Weltoffenheitstaumel und Bereicherungsjargon begeistert übernommen. Negative Berichte wurden ausgeblendet, kritische Stimmen nicht gehört. Die Leitmedien seien „in ihren Meinungsbeiträgen größtenteils auf die politischen Eliten fixiert geblieben“, so die Studie. Die Sorgen, Ängste und Widerstände der Menschen wurden nicht aufgegriffen. Wenn doch, dann in belehrendem oder verächtlichen Tonfall. Stattdessen wurde die „Willkommenskultur“ als „moralische Verpflichtungsnorm“ vermittelt. Die Folgen dieses volkspädagogischen Journalismus, auch daran lässt die Studie keinen Zweifel, seien verheerend – sowohl für Journalismus als auch für die Gesellschaft als Ganzes: „Ein beachtlicher Teil der Bevölkerung glaubt seither, der Journalismus werde offenbar gezwungen, systemkonform und insofern manipulierend zu berichten“.
Ausgewertet wurden dabei mehr als 30 000 Medienberichte aus dem Zeitraum zwischen Februar 2015 und März 2016, veröffentlicht in den großen überregionalen Tageszeitungen (FAZ, Süddeutsche Zeitung, Welt und Bild), auf Online-Portalen (Spiegel Online, Focus Online, Tagesthemen.de) und 85 Lokalzeitungen. Mehr als ein Viertel der Stücke zum Thema seien kommentierend gewesen. Die Kommentatoren hätten sich vornehmlich mit dem politischen Berlin auseinandergesetzt, während Interviews mit Betroffenen oder Experten im Nachrichtenangebot kaum vorgekommen seien (vier Prozent der untersuchten Texte). Auch Reportagen und Vor-Ort-Recherchen, die Ereignisse aus eigener Anschauung hätten beleuchten können, hätten kaum eine Rolle gespielt (sechs Prozent). Diese Schwäche hätten die Lokalredaktionen, deren Stärke die Verwurzelung in der Region ist, überraschenderweise nicht ausgeglichen, sondern ihre Berichterstattung den überregionalen Medien angeglichen.
Insgesamt seien in der Tagespresse fast ausschließlich Politiker zum Thema zu Wort gekommen, vorzugsweise Akteure auf der Bundesebene, und unter diesen wiederum vorwiegend Vertreter der Regierungsparteien. Helfer, Hilfseinrichtungen und Flüchtlinge hätten kaum Gelegenheit bekommen, sich zu äußern. Was sich für die Bevölkerung als konkretes, lebensweltliches Problem dargestellt habe, sei so medial nach den „üblichen Routinen“ in ein „abstraktes Aushandlungsobjekt der institutionellen Politik“ überführt worden. Haller geht davon aus, dass dies eine „Frontbildung“ in der Gesellschaft befördert habe. Erst nach den Ereignissen der Kölner Silvesternacht 2015 „entdeckten die Medien die reale Wirklichkeit hinter der wohlklingenden Willkommensrhetorik“.
https://www.otto-brenner-stiftung.de/fileadmin/user_data/stiftung/Aktuelles/AH93/AH_93_Haller_Web.pdf
Die damals vorherrschende Grundstimmung möchte ich mit zwei Zitaten illustrieren. Christian Pfeiffer, der in einer Phoenix-Runde über die ersten Interview-Anfragen nach der Kölner Silvesternacht berichtete: „Die ersten beiden Interviews, die ich dem Fernsehen über Köln geben durfte, da fragten mich die Journalisten: Bitte, reden Sie nicht über Flüchtlinge! Dann hab ich gesagt, dann brauche ich gar nicht anfangen, dann ist das das Ende des Interviews. Dann haben sie sich besonnen und das wieder aufgelöst. Wo kommen wir hin, wenn wir die Wahrheit nicht mehr benennen? Die, die sich andeutete. Es war noch völlig unsicher, ob sich Flüchtlinge – hab ich auch selber gesagt – ob es Flüchtlinge sind. Aber es von vornherein auszuschließen, wie es der Kölner Polizeipräsident gemacht hat, das ist unerträglich, wenn die verantwortlichen Behörden selber die Wahrheit nicht benennen.“
https://www.youtube.com/watch?v=pZBgpILyMMo
Das zweite Zitat stammt von der mittlerweile ehemaligen Mitarbeiterin des WDR, Claudia Zimmermann, aus einem Interview mit einem niederländischen Radiosender:
„Sie arbeiten beim WDR. Wird von Ihnen erwartet, auf eine bestimmte Weise über Migranten, über Flüchtlinge zu berichten?
Claudia Zimmermann: Ja, wir sind natürlich… Wir sind öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Das heißt, dass wir auf jeden Fall, ich sag mal, in einer eher positiven Weise das Problem angehen. Am Anfang, als die Willkommenskultur von Merkel noch sehr … ja, gut war, waren natürlich auch die Geschichten sehr positiv. Inzwischen ist es ein bisschen gekippt. Jetzt sind auch immer mehr kritische Stimmen, auch aus dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und auch natürlich aus der Politik, zu hören.
Bekommen Sie eine Anweisung: So müssen Sie berichten?
Zimmermann: Ja, im Prinzip nicht. Aber wir sind ein öffentlich-rechtlicher Rundfunk, das heißt, es gibt verschiedene Kommissionen, die bestimmen, wie unser Programm aussehen soll. Und wir sind natürlich schon angewiesen, das ein bisschen pro-Regierung zu tun. … und nicht so sehr eine Oppositionsstimme.
Ist das nicht äußerst merkwürdig für einen Journalisten, dass man also eigentlich eine Anweisung irgendwo auf dem Schreibtisch liegen hat: Du sollst in einem bestimmten Ton über ein Thema berichten?“
Zimmermann: Nein, eigentlich nicht merkwürdig. Eigentlich ist das schon nachzuvollziehen: Wir müssen natürlich probieren, auch, ich sag mal, neutral über ein Thema zu berichten.
https://uebermedien.de/1046/wdr-mitarbeiterin-bestaetigt-und-dementiert-tendenzioese-berichte/
Nicht nur der WDR wies Zimmermanns Anschuldigungen sofort zurück, auch freie Mitarbeiter des Senders wehrten sich mit einem Offenen Brief „gegen Unterstellungen, es gebe politische Direktiven beim Sender".
Nach einem Gespräch mit dem Sender erklärte Claudia Zimmermann: „Ich habe an dieser Stelle Unsinn geredet. Denn ich bin niemals als freie Journalistin aufgefordert worden, tendenziös zu berichten oder einen Bericht in eine bestimmte Richtung zuzuspitzen."
http://meedia.de/2016/01/18/journalistin-beschaemt-wdr-entsetzt-keine-anweisungen-positiv-ueber-fluechtlinge-zu-berichten
Der Sender ergänzte: „Der WDR steht für einen ausgewogenen und unabhängigen Journalismus. Unser breit aufgestelltes Programm zeigt besonders in diesen Tagen, wie umfangreich, unabhängig, kritisch und differenziert wir über die Flüchtlingsproblematik berichten."
http://www.tagesspiegel.de/medien/reaktion-auf-umstrittene-aeusserung-einer-wdr-journalistin-wir-bekommen-keine-politischen-vorgaben/12843706.html
Alle drei Beispielfelder zeigen, dass mittels der durch die neuen Medien möglich gewordenen Formen des Faktenchecks und der Gegenkontrolle die etablierten Mächte eben nicht nur ökonomisch in Frage gestellt werden, sondern auch in ihrem Selbstverständnis. Damit gleichen sie der Politik, deren schon lange nicht mehr in Frage gestellter Machtanspruch mit dem Aufkommen von – sogleich als populistisch diskreditierten – Gegenkräften herausgefordert wird. Diese „Populisten“ müssen dabei übrigens längst nicht immer rechts sein, wie in Deutschland oder Frankreich, sondern können durchaus auch aus dem linken Lager stammen, wie Podemos in Spanien oder Syriza in Griechenland. Sie alle verdanken ihren Aufstieg einem zunehmenden Verdruss der Bevölkerungen in der westlichen Welt an dem, im Zuge der Globalisierung als alternativlos verkauften, Umbau der Gesellschaften hin zu immer marktkonformeren, neoliberalen Verwertungsgemeinschaften. Der andauernde Schlaf der politischen Vernunft gebiert da mittlerweile zunehmend Ungeheuer und diese werden größer und stärker.
Die Auflösung der politischen Nachkriegsordnung hat Ideologien und politische Prinzipien zu Gunsten technokratischer Regierungen verdrängt, die von Experten geführt werden. Solche Regierungen versuchen sich eher auf der Basis von externer Expertise statt demokratischer Teilhabe zu legitimieren, und schon gar nicht auf Basis politischer Visionen. Ausgeprägtestes Beispiel solcher technokratischen Regierungsformen ist sicherlich die EU. Der britische Soziologe Frank Furedi schreibt:
„Seit den 1980ern ist die Abgrenzung zwischen der politischen Linken und Rechten zunehmend unklarer geworden, in einem Ausmaß, dass beide Begriffe die Muster politischen Handelns nun eher verschleiern als für Klarheit zu sorgen. Traditionell rechts-konservative Parteien wie die italienischen Christdemokraten der Democrazia Cristiana, die Tories im Vereinigten Königreich oder die Republikaner in den USA sind entweder zerfallen oder zu einem Schatten ihrer selbst geworden. Traditionell linke Parteien sind entweder untergegangen, wie die Kommunistische Partei Frankreichs, oder zu Parteien der Mitte, zu technokratischen Gebilden geworden, wie die Labour-Partei im Vereinigten Königreich.“
https://www.novo-argumente.com/artikel/eine_verteidigung_des_populismus
Technokratische Herrschaftsformen haben einen speziellen Typ von Politiker geschaffen, dessen berufliche Entwicklung von seinem Talent für innere Konkurrenzkämpfe, effektives Networking und PR und seiner Kunst abhängt, andere gegeneinander auszuspielen. Dieser Politikertypus hat aber kaum Erfahrung darin, die Herzen und Köpfe der Menschen für sich zu gewinnen. Stattdessen sind solche Politiker Produkte einer technokratischen, oligarchischen Kultur, welche sie mit ihren Kollegen in den Medien teilen. Trotz ihrer institutionellen Macht haben es diese politisch-oligarchischen Eliten nicht geschafft, die Öffentlichkeit mit ins Boot zu holen.
Politische Bewegungen, die sich an diese Öffentlichkeit wenden, als populistisch abzustempeln, erlaubt es den unpopulären Eliten, diese als moralisch minderwertig darzustellen. Das beschönigt eine eigentlich moralisch desorientierte politische Klasse und macht aus der Unpopularität der elitären Werte ein Kennzeichen für moralische Überlegenheit.
Wie die Politik haben auch die Medien ein echtes Problem, die Dynamik populistischer Politik zu begreifen. Dies ist nicht nur ein Resultat fehlerhafter Analysen. Ein signifikanter Teil der Medien ist selbst zunehmend entfremdet vom Leben der einfachen Menschen und misstraut denen, die nicht ihre Werte teilen.
„Dieser Journalismus ist nicht selten belehrend, rechthaberisch und selbstgefällig“, schreibt Markus Völker in der taz. „Sein Maßstab ist die Zustimmung der Peergroup. Nicht der Leser wird zum Adressaten, sondern andere, mit dem Schreiber verkumpelte Journalisten.“
http://www.taz.de/!5433237/
Das Ergebnis: 2015 haben einer repräsentativen Umfrage der „Zeit“ zufolge 60 Prozent der Befragten wenig oder kein Vertrauen in die Medien.
Nun kann man auf Kritik auf unterschiedliche Weise reagieren. Man kann sie annehmen, sich und seine Positionen hinterfragen oder aber sie von sich weisen und zum Gegenangriff übergehen.
Große Teile der Politik und der etablierten Medien haben sich für letzteres entschieden. Den Vorwurf der Lügenpresse konterten sie mit dem Vorwurf, der politische und publizistische Gegner produziere vor allem Fake News. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump besetzte der Begriff die Schlagzeilen: „Fake News", so viel war für deutsche Politiker und deutsche Leitmedien sicher, hätten den „irren" (FR) „Hassprediger" (Steinmeier) ins Amt befördert. Gezielt, womöglich von russischen Trollen, lancierte Falschnachrichten, so die These, hätten Millionen Amerikaner dazu verführt und mit Lügen verleitet, statt der in Deutschland so beliebten Hillary Clinton den verrückten Milliardär zu wählen. Der Medienforscher Professor Thorsten Quandt betont dagegen, dass es trotz der aktuellen öffentlichen Debatte über ein ‚postfaktisches Zeitalter‘ keine empirischen Grundlagen gäbe, die eine allgemeine Zunahme von Lügen belegen würden. Das Internet habe lediglich vormals private Diskussionsräume zugänglich und sichtbar gemacht.
http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2017/03/luegen-postfaktisch-donald-trump-interview/komplettansicht
Wie rasant der Begriff „Fake News“ Ende 2016 Einzug in den Diskurs hielt zeigt diese Grafik.
https://3.bp.blogspot.com/-CG-vaEsPQZU/WN-JzfmLX9I/AAAAAAAAyEM/RndAuBOSPmgwVTwtgMt4Jd1sA52uAKgiQCLcB/s1600/kampf%2Bgegen%2Bfake%2Bnews%2Bgrafik%2Bpolitplatschquatsch.jpg
Es ist einer der Vorzüge des Internets, dass man mit der quantitativen Auswertung von Big Data - in diesem Fall mit dem Tool Google Trends, das zeigt, wie oft ein Begriff im Internet auftaucht - durchaus qualitative Aussagen treffen kann, die über ein bloßes Bauchgefühl hinausgehen. Es gibt da einen schönen Vortrag des „Chaos Computer Clubs“, in dem durch die Analyse des gesamten Datenbestandes von Spiegel Online der vergangenen Jahre, nachgewiesen wird, dass Deutschlands größtes Nachrichtenportal sukzessive die Kommentarfunktion zu seinen Artikeln eingeschränkt hat.
https://cdn.netzpolitik.org/wp-upload/2016/12/SPON-Analyse-kommentierbarkeit-timelinej.jpg
Bei welchen Themen ein Kommentar erlaubt bleibt, ist durchaus ein Politikum. So sind zu Fragen des Nahostkonflikts und zu Israel so gut wie alle Artikel mit Kommentarsperrungen versehen. Wenn es beispielsweise um Frankreich geht, waren Kommentare so lange erlaubt, bis es zu dem Anschlag in Paris kam: Ab November 2015 wurden dann die meisten Frankreich-Artikel unkommentierbar.
Dass Medien zunehmend ihre User einschränken, Ist zwar bedauerlich aber ihr gutes Recht, nämlich ihr Hausrecht, aber noch keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wie beleidigte Wutbürger gerne klagen, wenn einer ihrer Kommentare bei der Zeit oder Spiegel Online entfernt wurde. Gefährlich wird es allerdings, wenn die Politik unter dem Vorwand „Fake News“ und „Hate Speech“ auszumerzen, die Meinungsfreiheit gefährdet. Seit vergangenem Sonntag ist das vom scheidenden Justizminister Heiko Maas mit wenig Einsicht aber umso größerer Vehemenz durchgeboxte Netzwerkdurchsetzungsgesetz in Kraft getreten. Von der Öffentlichkeit übrigens weitgehend unbemerkt. Erlaubt ist seitdem nicht mehr, was nicht verboten ist. Erlaubt ist nur noch, was ausdrücklich erlaubt aussieht. Das deckt sich leider auch mit der Auffassung der meisten Bundesbürger. Nur ganze acht Prozent sind noch der Ansicht, dass zum Recht auf freie Meinungsäußerung auch das Recht gehört, Dinge zu glauben und Ansichten zu vertreten, die von anderen abgelehnt werden, wie eine repräsentative Umfrage zeigt. Interessanterweise ist der Anteil dieser verstockten Grundgesetzgläubigen in den neuen Bundesländern mit 17 Prozent deutlich höher als in den alten (7 Prozent) und auch bei Männern (12 Prozent) höher als bei Frauen (5 Prozent).
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz verpflichtet die Betreiber von großen Internetseiten wie Facebook oder Twitter künftig jeden ihnen gemeldeten Verstoß gegen geltende Gesetze binnen 24 Stunden zu löschen, andernfalls werden Strafen von bis zu 50 Millionen Euro fällig. Kritiker verweisen darauf, dass die Seitenbetreiber angesichts der Fülle an täglich geposteten Beiträgen und dem Risiko, gegen das neue Gesetz zu verstoßen, eher zu viel als zu wenig löschen. Außerdem werde durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz eine hoheitliche Aufgabe des Staates, nämlich die Auslotung der Grenzen der Meinungsfreiheit, an Privatunternehmen outgesourct.
Wie Algorithmen Entstehung von Filterblasen befördern und wie sie als Chat-Bots menschliche Meinungsbildung beeinflussen können, würde sich an dieser Stelle als weiteres Thema anbieten, allein das würde wohl den Rahmen endgültig sprengen.
Schließen will ich mit dem Hinweis darauf, dass man die Wahl Donald Trumps auch als Menetekel für den bewährten Schulterschluss zwischen Politik und Mainstream-Journalismus lesen kann. Donald Trump ist trotz seiner Herkunft aus dem Establishment der erste Politiker in den USA, der gegen das Establishment und gegen ihn erbittert bekämpfende Medien die Macht gewonnen hat. Der unerwartete Wahlsieg des unablässig twitternden Trump ist nicht nur eine an das politische Establishment, an die „guten Demokraten“, gerichtete Botschaft, dass „Populisten“ Wahlen gewinnen können. Vielmehr ist es auch eine Botschaft an die traditionellen Medien, die jahrzehntelang die Deutungshoheit hatten und das wirtschaftliche und politische Establishment unterstützten. Sie lautet: Die sozialen Medien und das Internet sind mit dem Wahlsieg von Trump de facto zu einer Informations- und Meinungsmacher-Gegenmacht aufgestiegen, die die traditionellen Medien übertrumpfen kann. Das erklärt den Furor, mit dem beiderseits des Atlantiks auf Trump eingedroschen wird. Ich erinnere mich noch gut an den Washington Korrespondenten der Welt, Hannes Stein, der am Tag nach der Wahl in dem Springerblatt auf einer ganzen Seite ein Stück bester deutscher Selbstfindungs- und Betroffenheitsprosa ablieferte, als sei‘s ein Stück aus der Literatur der Siebziger. Man konnte dort lesen, dass er stundenlang geweint und, um den Schlaf gebracht, mit seiner Frau diskutiert habe, wie man dem Nachwuchs möglichst schonend beibringen könne, dass Lord Voldemort den finalen Kampf gewonnen hat und nicht Harriet Potter.
„Gegenwärtig haben die Leitmedien in ihrer Bereitschaft und Willfährigkeit, das Weltbild transatlantischer neoliberaler Eliten zu vermitteln, ganz offensichtlich jedes Maß verloren“, sagt Prof. Rainer Mausfeld in Jens Wernickes unlängst erschienenem Sammelband „Lügen die Medien?".
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Ich möchte aber betonen, dass diese Ausführungen, keine Verteidigung der Politik Donalds Trumps sein sollen. Trump ist für mich ein Symptom für einen Wechsel der Deutungshoheit. Dieser Wechsel hat einen Trump an die macht gebracht, aber auch um ein Haar einen Bernie Sanders. Auch ein Jeremy Corbyn hätte es ohne die neue Medienmacht von unten nicht an die Spitze der britischen Labour-Party geschafft.
Schließen möchte ich mit einem Zitat des amerikanischen Schriftstellers und Journalisten Gay Talese:
„Wir Journalisten sollten eine Religion der Ungläubigkeit predigen! Ein Heiliger Orden der Ungläubigen, das sollten wir sein. Wir sollten unseren Dienst in Klöstern der Wahrheit tun, über die Schriften gebeugt. Und diese Klöster sollten weit, weit weg sein von den Palästen."