»Was könnte man doch für eine schöne Zeitung machen, wenn da nicht die Leser wären«, lautet ein altes Bonmot unter Journalisten, das in einer Zeit entstand, als deren Beruf noch ähnlich hoch im Ansehen der Öffentlichkeit stand, wie der des Arztes. Jetzt droht dieser Wunsch wahr zu werden.
Journalismus bedeutete jahrzehntelang für die Bürgerinnen und Bürger den Zugang zur Welt. Doch dieses Tor führte jahrzehntelang nur in eine Richtung. Mit der Etablierung des Internets als bislang wirkmächtigstes Medium der Menschheitsgeschichte wurden die Empfänger auch zu Sendern. Journalisten haben heute ihre »Gatekeeper«-Funktion verloren und reagieren auf diese kopernikanische Kränkung mal hilflos, mal gereizt.
»Manufacturing Consent?« Das war einmal. So uneins wie heute waren sich weite Teile der Leser- und Zuschauer sowie die Medienschaffenden noch nie. »Lügenpresse« zetern die einen, »Fake News« schimpfen die anderen. War letzterer Begriff bis Ende 2016 einer breiteren Öffentlichkeit noch nahezu unbekannt, wurde er zunächst von etablierten Medien zur Abgrenzung von der aufkommenden Konkurrenz durch Blogs und in sozialen Medien benutzt. Spätestens mit der ausgiebigen Verwendung durch Donald Trump, der den Fake-News-Vorwurf wieder gegen seine Urheber richtete, hat der Begriff dann eine rasante Karriere hingelegt. Sind aber Fake News ein neues Phänomen oder doch nur ein beidseitig verwendbarer politischer Kampfbegriff gegen unerwünschte Meinungen?
Während der Ton zwischen Nachrichtenproduzenten und Nachrichtenkonsumenten immer rauer wird, scheinen sich die ideologischen Unterschiede zwischen einzelnen Medien zu verwischen. Warum werden große politische Fragen von den Journalisten der Mainstream-Medien immer seltener aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet? Als Beispiele soll im Vortrag auf die Berichterstattung über die Eurokrise in Griechenland, die Flüchtlingskrise, den Ukraine-Konflikt und den Krieg in Syrien eingegangen werden. Von der Taz bis zur Faz überwog in allen vier Großkonflikten ein einheitliches Narrativ und das war meist das der Herrschenden.
Muss man hier von einer »Desinformation im großen Stil« sprechen, wie das Peter Scholl-Latour kurz vor seinem Tod über die Ukraine-Berichterstattung gesagt hat, oder haben wir es nicht vielmehr mit einer sublimen Selbstunterwerfung unter den herrschenden Zeitgeist einer immer breiter werdenden bürgerlichen Mitte zu tun, wie der Medienkritiker Walter van Rossum nahelegt? Anders formuliert: Kann in den Jahren einer Großen Koalition und als Opposition getarnten Standby-Koalitionspartnern, in denen die Unterschiede zwischen einst konträren Lagern zunehmend verschwunden sind, Journalismus vielfältiger und kontroverser sein, als die Politik, die er beschreibt?
Wie aber kann ein sich als kritisch und aufklärerisch verstehender Journalismus in einer Welt bestehen, in der die Lebensverhältnisse von Journalisten zunehmend prekärer werden, und in der ganze Generationen sich längst vom klassischen Journalismus verabschiedet haben, um sich ihr Weltbild nicht länger von mehr oder weniger redlichen Türhütern formen zu lassen, sondern von den Algorithmen von Facebook, Google und Co.?