Liebe Freundinnen und Freunde des Georg-Büchner-Clubs,
wir möchten Sie/Euch an unsere Veranstaltung zu Büchners Stück Leonce und Lena erinnern, die am Samstag, den 23. April ab 15 Uhr in der ESG stattfindet. Am selben Abend um 19:30 Uhr hat das Stück am Gießener Stadttheater Premiere.
Im Anschluss an einen Vortrag von Professor Alfons Glück besteht Gelegenheit zur Diskussion über die verschiedenen Dimensionen und den politischen Gehalt dieses Stückes. Auf einen häufig unbeachtet gebliebenen Aspekt macht Götz Eisenberg in einer kleinen Notiz aufmerksam. Sie zeigt uns Georg Büchner als frühen Kritiker der Arbeitsgesellschaft und der protestantischen Ethik.
»Denn wer arbeitet, ist ein subtiler Selbstmörder, und ein Selbstmörder ist ein Verbrecher, und ein Verbrecher ist ein Schuft, also, wer arbeitet, ist ein Schuft.«
(Georg Büchner: Leonce und Lena, 1. Akt, 1. Szene)
Leonce plant, sich dem Lebensentwurf seines Vaters – sein Nachfolger als König des Königreichs Popo zu werden – zu entziehen und mit seinem Freund Valerio nach Italien, genauer nach Neapel zu gehen. Sie waren fasziniert von der dort lebenden Unterschicht, den Lazzaroni, die keine feste Wohnung und Arbeit hatten und dennoch lebten. Sie verkörperten eine leibhaftige Provokation des nordeuropäischen Arbeitsethos. Sie arbeiteten nicht um der Arbeit willen, sondern sie arbeiteten, um das Leben zu genießen, ja sie wollten »sogar bei der Arbeit des Lebens froh werden«, wie Goethe in seiner Italienischen Reise berichtet hatte. Neapolitanische Verhältnisse werden am Ende des Lustspiels per Dekret in Popo eingeführt, denn Leonce und Valerio kommen gar nicht bis nach Italien, weil sie vorher schon Lena über den Weg laufen und ihre Reisepläne aufgeben.
Das Regierungsprogramm, welches das Königreich Popo in ein Schlaraffenland verwandeln und Not und Arbeit, die mechanische Zeitmessung und die ganze kapitalistische Moderne abschaffen will, lautet so: »Wir lassen alle Uhren zerschlagen, alle Kalender verbieten und zählen Stunden und Monden nur nach der Blumenuhr, nur nach Blüte und Frucht.« Valerio fährt fort: »Und ich werde Staatsminister, und es wird ein Dekret erlassen, dass, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Kuratel gestellt wird; dass, wer sich krank arbeitet, kriminalistisch strafbar ist; dass jeder, der sich rühmt, sein Brot im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft für gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine commode Religion!«
Büchners Enttäuschung über das »Volk« im Kontext der Geschehnisse um den Hessischen Landboten ist in dem Lustspiel deutlich spürbar. Das vom König »vergessene Volk« tritt in Leonce und Lena nur in einer Szene auf, wo »Bauern im Sonntagsputz« vor dem Schloss des Königs als Jubelchor aufgestellt und vom Schulmeister und dem Landrath inspiziert werden. Büchner hatte dem Volk viel zugetraut und große Hoffnungen in es gesetzt, nun kann man das Volk als revolutionäre Klasse vergessen. Ja, es ist sogar ein böser Spott spürbar, weil Büchner die Anweisung gibt, die Bauern so zu stellen, »dass der Wind von der Küche über sie geht«, damit sie »auch einmal im Leben einen Braten riechen«. Das hat ja einen Doppelsinn: Die Bauern würden vielleicht endlich »den Braten riechen«, das heißt der Herrschaft auf die Schliche kommen und sich wehren. Ganz hat er die Hoffnung eben doch noch nicht aufgegeben. An die Eltern schreibt er in seinem Neujahrsbrief 1836: »Der Gedanke, daß für die meisten Menschen auch die armseligsten Genüsse und Freuden unerreichbare Kostbarkeiten sind, macht mich sehr bitter.«