»Wie alles anfing«: Der 2. Juni 1967

Zum 50. Todestag von Benno Ohnesorg. Wir zeigen den Dokumentarfilm Ruhestörung von Hans Dieter Müller und Günther Hörmann. Der Schauspieler Rainer Hustedt stellt das Buch Der Freund und der Fremde von Uwe Timm vor und liest einige Passagen. Heinrich Brinkmann schildert die Ereignisse aus Gießener Sicht.

Samstag, 10. Juni 2017 - 13:00

Dieses Jahr jährt sich die Ermordung Benno Ohnesorgs zum 50. Mal. Damit fing, wie der 2016 gestorbene Bommi Baumann seine Lebensgeschichte überschrieb, »alles an«. Der Funke der Unruhe unter Jugendlichen und Studierenden sprang von Westberlin auf Westdeutschland über, und es folgten einige turbulente Jahre, die die Bundesrepublik veränderten.

Ohne die Schüsse des Polizisten Kurras auf den 26-jährigenTheologiestudenten hätte es möglicherweise gar keine RAF und keinen Deutschen Herbst gegeben, die in der offiziellen Erinnerungskultur die Erinnerung an Benno Ohnesorg überlagern. In diesem Moment verlor die Bewegung ihre Unschuld. Ab jetzt machten sich starke Zweifel gegenüber Rechtsstaatlichkeit und Polizei breit, und immer weniger junge Leute waren davon überzeugt, dass sich in einer Demokratie alle und alles »dem zwanglosen Zwang des besseren Arguments« zu beugen habe. Nicht umsonst ereignete sich bei der Trauerfeier für Benno Ohnesorg jener berühmte Zusammenstoß zwischen Jürgen Habermas und Rudi Dutschke, als jener diesem wegen seines Plädoyers für den aktiven Widerstand und »direkte Aktionen gegen die etablierte Ordnung« vorwarf, einem »linken Faschismus« das Wort zu reden.

Die Gewaltfrage hat zu Beginn das herrschende System selbst auf die Tagesordnung gesetzt und sie zu einer für die Studentenbewegung höchst praktischen Frage gemacht. Als dann Ostern 1968 der Malergehilfe Josef Bachmann, von der monatelangen Hetze der Bild-Zeitung angestachelt, aus München anreiste und auf Rudi Dutschke schoss, hatten die Verfechter der Gewaltlosigkeit einen immer schwereren Stand. Die Verhältnisse selbst nötigten einer anfangs beinahe naiv und blauäugig agierenden und demokratisch denkenden und argumentierenden Bewegung einen Lernprozess auf, der sich so beschreiben lässt: Wenn an dem dünnen Firnis demokratisch-rechtsstaatlicher Verkehrsformen gekratzt und das herrschende System in Frage gestellt wird, kommt, wie Kai aus der Kiste, die Gewalt hervor. Als Kern des bürgerlichen Friedens wurde die permanente Kriegsdrohung erkennbar.

Wir wollen uns und andere am 10. Juni 2017 an die Ermordung Benno Ohnesorgs erinnern. Wir zeigen zunächst den Dokumentarfilm Ruhestörung von Hans Dieter Müller und Günther Hörmann, der die Ereignisse in Berlin nach dem 2. Juni zeigt. Die Filmemacher des Ulmer Instituts für Filmgestaltung haben die Revolte sympathisierend begleitet und dokumentiert.

Der Schriftsteller Uwe Timm hat zusammen mit Benno Ohnesorg auf dem Braunschweig-Kolleg das Abitur nachgeholt. Er hat seine Erinnerungen an den einstigen Freund und Mitschüler in dem Buch Der Freund und der Fremde festgehalten. Der Schauspieler Rainer Hustedt wird das Buch vorstellen und einige Passagen aus ihm lesen.

Auch in Gießen fand – wie in allen Universitätsstädten der Bundesrepublik - als Reaktion auf die Ereignisse in Berlin eine Demonstration statt, an der ein für heutige Verhältnisse beachtlicher Teil der Studierenden und Schülerinnen und Schüler der Stadt teilgenommen hat. Heinrich Brinkmann lebt seit der Mitte der 1960er Jahre in Gießen und hat die Reaktion der Gießener Studentenschaft auf die Ermordung Benno Ohnesorgs aus nächster Nähe mitbekommen. Er wird uns davon berichten.

Wenn dann noch Zeit und Interesse vorhanden ist, kann Götz Eisenberg aus der breit gefächerten Literatur über den 2. Juni ’67 ausgewählte Passagen zu Gehör bringen.

Im Anschluss soll Zeit für Diskussionen bleiben.

Die ARD zeigt am 29. Mai nach den Tagesthemen (ca. 22:45) den Dokumentarfilm Wie starb Benno Ohnesorg? von Klaus Gietinger und Margot Overath. Gietinger schreibt dazu: »Wir gingen allen Spuren in Ost und West nach, werteten bislang unbekannte Akten, Fotos, sowie verschollen geglaubte Filmschnipsel aus. Wir interviewten zahlreiche Augenzeugen, von denen die meisten noch nie vor der Kamera standen und als Zeugen ignoriert wurden. Darunter ein damals Achtjähriger, der alles genau mit angesehen hat. Ein investigativer Geschichtsthriller entstand.«