Ein Nachmittag für Ernst Toller mit Matthias Schubert vom Stadttheater Gießen sowie dem Film »Rotmord« von Tankred Dorst und Peter Zadek
Wir wollen uns zum einen mit seinem Stück Hoppla, wir leben! beschäftigen, das bis zum 18. Januar 2018 am Stadttheater Gießen auf dem Programm steht. Matthias Schubert, der die Produktion dramaturgisch betreut, hat sein Kommen in Aussicht gestellt. Im Mittelpunkt des Nachmittags soll allerdings ein Toller betiteltes Stück von Tankred Dorst stehen.
Toller von Tankred Dorst ist eine szenische Revue, die am 9. November 1968, dem 50. Jahrestag der deutschen Novemberrevolution, unter der Regie von Peter Palitzsch im Kleinen Haus des Württembergischen Staatstheaters Stuttgart uraufgeführt wurde. Später entstand nach der Vorlage von Dorst unter der Regie von Peter Zadek ein Fernsehspiel, das im April 1969 unter dem Titel Rotmord ausgestrahlt wurde. Diesen Film wollen wir zeigen.
Toller bzw. Rotmord erzählt die Geschichte der Münchner Räterepublik. Anarchisten, Literaten, Künstler wie Toller, Mühsam, Niekisch, Gesell und Landauer hatten im April 1919 die Regierung übernommen und verfolgten das Gegenteil der autoritären kommunistischen Parteien, nämlich einen freiheitlichen Kommunismus oder, wenn man lieber will, pazifistischen Anarchismus. Ein von Ernst Toller und Erich Mühsam verfasstes Dekret kündigte die Verwandlung der Welt in eine »Wiese voller Blumen« an, in der »jeder seinen Teil pflücken« könne. Lohnarbeit, Ausbeutung, jegliche Hierarchie und juristisches Denken wurden für abgeschafft erklärt. Den Zeitungen wurde auferlegt, auf der Titelseite neben den neuesten Nachrichten Gedichte von Hölderlin oder Schiller zu drucken.
Was für ein Kontrast zur Elektrifizierungs-Prosa und Kommando-Sprache der Bolschewiki! Der kurze bayerische Frühling der Anarchie währte knapp vier Wochen, dann wurde der Ansatz einer Rätedemokratie von den Stiefeln und Gewehrkolben der Freikorpssoldaten zerstampft und zerschlagen und in Strömen von Blut ertränkt.